Rechtsprechung // Fernabsatzrecht
EuGH, Urteil vom 27.03.2019 - C‑681/17
Versiegelte Waren?! - Widerrufsrecht besteht beim Fernabsatzkauf einer Matratze auch nach Entfernung einer Schutzfolie
Richtlinie 2011/83/EU Art. 16 Buchst. e
Leitsätze:*1. Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates ist dahin auszulegen, dass eine Ware wie eine Matratze, deren Schutzfolie vom Verbraucher nach der Lieferung entfernt wurde, nicht unter den Begriff „versiegelte Waren (...), die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind und deren Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde“ im Sinne dieser Vorschrift fällt.
2. Das Widerrufsrecht soll den Verbraucher in der besonderen Situation eines Vertragsabschlusses im Fernabsatz schützen, in der er keine konkrete Möglichkeit hat, vor Abschluss des Vertrags das Erzeugnis zu sehen oder die Eigenschaften der Dienstleistung zur Kenntnis zu nehmen. Es soll also den Nachteil ausgleichen, der sich für einen Verbraucher bei einem im Fernabsatz geschlossenen Vertrag ergibt, indem ihm eine angemessene Bedenkzeit eingeräumt wird, in der er die Möglichkeit hat, die gekaufte Ware zu prüfen und auszuprobieren (EuGH, Urteil vom 23.01.2019 - C‑430/17- Walbusch Walter Busch, EU:C:2019:47, Rn. 45). Unionsrechtliche Vorschriften, die Ausnahmen vom Widerrufsrecht enthalten (hier: Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83) und die diese zu Schutzzwecken gewährten Rechte beschränkt, sind eng auszulegen (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urteil vom 10.09.2014 - C‑34/13 - KuÅ¡ionová, EU:C:2014:2189, Rn. 77).
3. Die in Art. 16 Buchst. e der Richtlinie 2011/83 vorgesehene Ausnahme vom Widerrufsrecht greift nur dann, wenn nach Entfernung der Versiegelung der Verpackung die darin enthaltene Ware aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder aus Hygienegründen endgültig nicht mehr verkehrsfähig ist, weil es für den Unternehmer wegen ihrer Beschaffenheit unmöglich oder übermäßig schwierig ist, Maßnahmen zu ergreifen, die sie wieder verkaufsfähig machen, ohne dass einem dieser Erfordernisse nicht genügt würde (hier: verneint).
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 29.03.2019
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2916
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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