Rechtsprechung // Wettbewerbsrecht
KG Berlin, Urteil vom 01.12.2020 - 5 U 26/19
Haustürwerbung - Unangekündigte Haustürbesuche zu Werbezwecken stellen nicht ohne weiteres eine unzumutbare Belästigung im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 UWG dar
UWG § 7 Absatz 1 Satz 1
Leitsätze:*1. Zwar folgt aus Haustürbesuchen von Vertriebspersonen eines Unternehmers für den Marktteilnehmer eine “Belästigung“ im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 UWG. Belästigend ist dabei eine geschäftliche Handlung, die dem Empfänger aufgedrängt wird und die bereits wegen ihrer Art und Weise unabhängig von ihrem Inhalt als störend empfunden wird (BGH, Urteil vom 25.04.2019 - I ZR 23/18 - WifiSpot; BGH, Urteil vom 03.03.2011 - I ZR 167/09, MIR 2011, Dok. 061 - Kreditkartenübersendung; KG, Urteil vom 18.10.2013 - 5 U 138/12). Die Belästigung, die typischerweise aus einem weder angekündigten noch verabredeten Haustürbesuch folgt, ist für den Verbraucher jedoch nicht unzumutbar. Unzumutbar ist die Belästigung, wenn sie eine solche Intensität erreicht, dass sie von einem großen Teil der Verbraucher als unerträglich empfunden wird, wobei der Maßstab des durchschnittlich empfindlichen Adressaten zugrunde zu legen ist. Dabei kommt es nicht einseitig auf die Perspektive des Adressaten der geschäftlichen Handlung an. Die Unzumutbarkeit ist vielmehr zu ermitteln durch eine Abwägung der auch verfassungsrechtlich geschützten Interessen des Adressaten, von der Werbung verschont zu bleiben (Art. 2 Abs. 1 GG), und des werbenden Unternehmers, der seine gewerblichen Leistungen durch Werbung zur Geltung bringen will (Art. 5 Abs. 1, Art. 12 GG; vgl. BGH, Urteil vom 03.03.2011 - I ZR 167/09, MIR 2011, Dok. 061 - Kreditkartenübersendung; KG, Urteil vom 18.10.2013 - 5 U 138/12).
2. Der Senat hält daran fest, dass eine unangekündigte oder ohne Einwilligung durchgeführte Haustürwerbung nur dann eine unzumutbare Belästigung im Sinne von § 7 Absatz 1 Satz 1 UWG begründet, wenn aufgrund besonderer Umstände die Gefahr einer untragbaren oder sonst wettbewerbswidrigen Belästigung und Beunruhigung des privaten Lebensbereichs gegeben ist.
3. In Bezug auf Haustürbesuche, insbesondere im Hinblick auf ihre gegenüber Verbrauchern durchgeführte Anzahl, sind keine tatsächlichen Veränderungen erkennbar, die dazu führen, derzeit in unangekündigten oder ohne Einwilligung durchgeführten Haustürbesuchen grundsätzlich einen Verstoß gegen § 7 Absatz 1 Satz 1 UWG zu sehen.
4. Aus europarechtlichen Vorgaben, insbesondere aus der sog. UGP-Richtlinie (2005/29/EG), folgt nicht, dass unangekündigte Haustürbesuche bei Verbrauchern oder Haustürbesuche ohne dessen Einwilligung in wettbewerbsrechtlicher Hinsicht grundsätzlich unzulässig sind.
Die Entscheidung stellt bei Weitem keinen "Freibrief" für werbliche Haustürbesuche und den Direktvertrieb über die Türschwelle dar. Diese Klarstellung ist in Anbetracht der oftmals doch "zielorientierten" Rezeption derartiger Entscheidungen obligat. Der hier gefundene Zusatz "nicht ohne weiteres" im Titel dieses Artikels ist insoweit für die Praxis ernst zu nehmen. Elemente der Hartnäckigkeit und auch Umstände im Bereich Wiederholung, Ausgestaltung oder auch inhaltliche Komponenten werden die Schwelle der Zumutbarkeit in der Praxis schnell überschreiten können. Dies ist auch gut so. Lehnt man ein Per-se-Verbot von Haustürwerbung ab, gilt dies gleichermaßen für dessen Legitimität. Was hier für die Betroffenen der sachgerechtere und sinnvollere Ansatz ist, sei an dieser Stelle - mit Bedenken - dahingestellt sein. (RA Thomas Ch. Gramespacher, Bonn)
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 19.03.2021
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3065
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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