Rechtsprechung // Medienrecht
BGH, Urteil vom 04.04.2017 - VI ZR 123/16
Haftung des Betreibers eines Bewertungsportals für Äußerungen Dritter - Nach außen erkennbare Überprüfung, Einflussnahme und Übernahme der inhaltlichen Verantwortung können zu einem "Zu Eigen-machen" führen
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3; BGB § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2
Leitsätze:*1. Unmittelbarer Störer ist ein Portalbetreiber nur dann, wenn es sich bei der angegriffenen Bewertung um eigene Informationen handelt (§ 7 Abs. 1 TMG), wobei zu den eigenen Informationen eines Portalbetreibers auch solche gehören, die zwar von einem Dritten eingestellt wurden, die sich der Portalbetreiber aber zu eigen gemacht hat.
2.
a) Der Betreiber eines Bewertungsportals haftet für von Dritten in das Portal eingestellte Äußerungen als unmittelbarer Störer, wenn er sich diese Äußerungen zu eigen gemacht hat. Von einem Zu-Eigen-Machen ist dabei dann auszugehen, wenn der Portalbetreiber nach außen erkennbar die inhaltliche Verantwortung für die auf seiner Internetseite veröffentlichten Inhalte übernommen hat, was aus objektiver Sicht auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände zu beurteilen ist. Für ein Zu-Eigen-Machen spricht es, wenn der Portalbetreiber eine inhaltlich-redaktionelle Überprüfung der auf seinem Portal eingestellten Nutzerbewertungen auf Vollständigkeit und Richtigkeit vornimmt (vgl. Senatsurteile vom 1. März 2016 - VI ZR 34/15, BGHZ 209, 139 Rn. 18; vom 27. März 2012 - VI ZR 144/11, AfP 2012, 264 Rn. 11; BGH, Urteile vom 19. März 2015 - I ZR 94/13, AfP 2015, 543 Rn. 25 mwN; vom 12. November 2009 - I ZR 166/07, AfP 2010, 369 Rn. 24, 27).
b) Ein Portalbetreiber, der die in das Portal eingestellten Äußerungen eines Dritten auf die Rüge des von der Kritik Betroffenen inhaltlich überprüft und auf sie Einfluss nimmt, indem er selbständig - insbesondere ohne Rücksprache mit dem Dritten - entscheidet, welche Äußerungen er abändert oder entfernt und welche er beibehält, macht sich diese Äußerungen zu eigen. Nach außen erkennbar ist die Übernahme der inhaltlichen Verantwortung jedenfalls dann, wenn er dem von der Kritik Betroffenen seinen Umgang mit der Bewertung kundgetan hat.
Soweit der VI. Zivilsenat bei den angesprochenen Haftungsfragen den unmittelbaren und mittelbaren Störer unterscheidet bemerkt das Gericht zu dieser Bezeichnung im Kontext zu der Rechtsprechung des I. Zivilsenat interessanterweise: "Unmittelbarer Störer - in der Diktion des I. Zivilsenats "Täter" (zu den unterschiedlichen Begrifflichkeiten des erkennenden Senats einerseits und des I. Zivilsenats andererseits vgl. v. Pentz, AfP 2014, 8, 16) - ist ein Portalbetreiber nur dann, wenn es sich bei der angegriffenen Bewertung um eigene Informationen handelt (§ 7 Abs. 1 TMG), wobei zu den eigenen Informationen eines Portalbetreibers auch solche gehören, die zwar von einem Dritten eingestellt wurden, die sich der Portalbetreiber aber zu eigen gemacht hat." Diese begriffliche "Klärung" ist erfreulich, soweit die jeweilige Rechtsprechung der beiden Senate mit Blick auf das sich überschneidende Konstellationen, was das "tatsächlich Umfeld" - etwa im gewerblichen Rechtsschutz und im Äußerungsrecht - auch wechselseitige Relevanz besitzt. Die Begriffe des "unmittelbaren Störers" und des "Täters" dürften sich insoweit wohl im wesentlichen deckungsgleich sein. (tg)
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 06.06.2017
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2820
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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