Kurz notiert // Wettbewerbsrecht
Bundesgerichtshof
"Tagesschau-App" kann unzulässig sein, wenn Angebot in seiner Gesamtheit presseähnlich ist
BGH, Urteil vom 30.04.2015 - I ZR 13/14 - Tagesschau-App; Vorinstanzen: OLG Köln - Urteil vom 20.12.2013 - 6 U 188/12; LG Köln, Urteil vom 27.09.2012 - 31 O 360/11
MIR 2015, Dok. 041, Rz. 1
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Der Bundesgerichtshof hat sich mit Urteil vom 30.04.2015 (I ZR 13/14 - Tagesschau-App) mit der wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit der "Tagesschau-App" befasst. Das Verbot nichtsendungsbezogener presseähnlicher Angebote in § 11d Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Teilsatz 3 Rundfunkstaatsvertrag (RStV) stelle insoweit eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG dar, so der BGH. Ob im Fall der "Tagesschau-App" ein Verstoß vorliege muss nach Zurückverweisung der Entscheidung das OLG Köln nunmehr erneut prüfen. Jedenfalls habe die Freigabe des Konzepts der "Tagesschau-App" durch die Niedersächsische Staatskanzlei keine Bindungswirkung hinsichtlich der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung der konkreten - verfahrensgegenständlichen - Ausgestaltung der App.
Zur Sache:
Die Klägerinnen sind Zeitungsverlage. Die Beklagte zu 1 ist die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD), der Beklagte zu 2 ist der Norddeutsche Rundfunk. Die in der Beklagten zu 1 zusammengeschlossenen Rundfunkanstalten betreiben seit dem Jahr 1996 das von der Beklagten zu 2 betreute Online-Portal "tagesschau.de". Im Jahr 2009 wurden in den Rundfunkstaatsvertrag die Regelungen des §§ 11d, 11f RStV eingefügt. Danach haben öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten die inhaltliche Ausrichtung ihrer Telemedienangebote in Telemedienkonzepten zu konkretisieren und diese Konzepte einer - als "Drei-Stufen-Test" bezeichneten - Prüfung zu unterwerfen. Die in der Beklagten zu 1 zusammengeschlossenen Rundfunkanstalten entwickelten daraufhin unter Federführung des Beklagten zu 2 ein Telemedienkonzept für das Online-Portal "tagesschau.de". Dieses Konzept wurde im Jahr 2010 vom Rundfunkrat des Beklagten zu 2 beschlossen, von der Niedersächsischen Staatskanzlei als Rechtsaufsichtsbehörde freigegeben und im Niedersächsischen Ministerialblatt veröffentlicht.
Seit dem 21.12.2010 bieten die Rundfunkanstalten die Applikation "Tagesschau-App" für Smartphones und Tabletcomputer an. Über diese Applikation kann das unter "tagesschau.de" vorgehaltene Angebot aufgerufen werden. Dieses besteht aus - teils um Standbilder oder Bildstrecken ergänzten - Textbeiträgen, aus Audio- und Videobeiträgen sowie aus interaktiven Elementen.
Mit ihrer Klage wenden sich die Klägerinnen gegen das am 15.06.2011 über die "Tagesschau-App" bereitgestellte Angebot und nehmen die Beklagten auf Unterlassung in Anspruch. Sie sind der Ansicht, dieses Angebot sei wettbewerbswidrig, weil es gegen die als Marktverhaltensregelung im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG einzustufende Bestimmung des § 11d Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Teilsatz 3 RStV verstoße. Danach sind nichtsendungsbezogene presseähnliche Angebote in Telemedien unzulässig.
Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Ein etwaiger Verstoß der Beklagten gegen das Verbot presseähnlicher Angebote könne (hier) keine wettbewerbsrechtlichen Ansprüche begründen, weil das Angebot des Online-Portals "tagesschau.de" im Zuge des "Drei-Stufen-Tests" von den mit der Prüfung befassten Einrichtungen als nicht presseähnlich eingestuft und freigegeben worden sei. Die Wettbewerbsgerichte seien an diese rechtliche Bewertung gebunden.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Verbot nichtsendungsbezogener presseähnlicher Angebote ist Marktverhaltensregelung im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG
Die Revision der Klägerinnen hatte hinsichtlich der Beklagten zu 1 keinen Erfolg. Das Berufungsgericht habe die Klage insoweit im Ergebnis mit Recht abgewiesen. Die Klage sei bereits unzulässig, da es sich bei der Beklagten zu 1, der ARD, um einen Zusammenschluss von Rundfunkanstalten handele, der als solcher nicht rechtsfähig ist und nicht verklagt werden könne.
Freigabe des Telemedienkonzepts "Tagesschau App" durch Niedersächsische Staatskanzlei nicht bindend für verfahrensgegenständliches Angebot - Differenzierung zwischen Konzept und konkreter Umsetzung
Hinsichtlich des Beklagten zu 2 - dem NDR - hatte die Revision der Klägerinnen dagegen Erfolg. Aufgrund der Freigabe des Telemedienkonzeptes durch die Niedersächsische Staatskanzlei stehe nicht mit bindender Wirkung für den vorliegenden Rechtsstreit fest, dass das am 15.06.2011 über die "Tagesschau-App" bereitgestellte Angebot im Online-Portal "tagesschau.de" nicht presseähnlich gewesen sei. Mit der Freigabe sei allenfalls das Konzept und jedenfalls nicht dessen konkrete Umsetzung im Einzelfall als nicht presseähnlich gebilligt worden. Bei dem Verbot nichtsendungsbezogener presseähnlicher Angebote im RStV handele es sich um eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG. Das Verbot habe zumindest auch den Zweck, die Betätigung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten auf dem Markt der Telemedienangebote zum Schutz von Presseverlagen zu begrenzen. Ein Verstoß gegen dieses Verbot könne daher wettbewerbsrechtliche Ansprüche der Verlage begründen.
Zurückverweisung: "Tagesschau-App" am 15.06.2011 in der Gesamtheit seiner nichtsendungsbezogenen Beiträge als presseähnlich einzustufen?
Der Bundesgerichtshof hat die Sache insoweit an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dieses muss nunmehr prüfen, ob das von den Klägerinnen beanstandete Angebot presseähnlich gewesen ist. Bei dieser Prüfung komme es nicht darauf an, ob einzelne Beiträge dieses Angebots als presseähnlich anzusehen sind, so der BGH. Entscheidend sei vielmehr, ob das über die "Tagesschau-App" am 15.06.2011 abrufbare Angebot des Online-Portals "tagesschau.de" in der Gesamtheit seiner nichtsendungsbezogenen Beiträge als presseähnlich einzustufen ist. Das sei der Fall, wenn bei diesem Angebot der Text deutlich im Vordergrund steht.
(tg) - Quelle: PM Nr. 075/2015 des BGH vom 30.04.2015
Zur Sache:
Die Klägerinnen sind Zeitungsverlage. Die Beklagte zu 1 ist die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD), der Beklagte zu 2 ist der Norddeutsche Rundfunk. Die in der Beklagten zu 1 zusammengeschlossenen Rundfunkanstalten betreiben seit dem Jahr 1996 das von der Beklagten zu 2 betreute Online-Portal "tagesschau.de". Im Jahr 2009 wurden in den Rundfunkstaatsvertrag die Regelungen des §§ 11d, 11f RStV eingefügt. Danach haben öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten die inhaltliche Ausrichtung ihrer Telemedienangebote in Telemedienkonzepten zu konkretisieren und diese Konzepte einer - als "Drei-Stufen-Test" bezeichneten - Prüfung zu unterwerfen. Die in der Beklagten zu 1 zusammengeschlossenen Rundfunkanstalten entwickelten daraufhin unter Federführung des Beklagten zu 2 ein Telemedienkonzept für das Online-Portal "tagesschau.de". Dieses Konzept wurde im Jahr 2010 vom Rundfunkrat des Beklagten zu 2 beschlossen, von der Niedersächsischen Staatskanzlei als Rechtsaufsichtsbehörde freigegeben und im Niedersächsischen Ministerialblatt veröffentlicht.
Seit dem 21.12.2010 bieten die Rundfunkanstalten die Applikation "Tagesschau-App" für Smartphones und Tabletcomputer an. Über diese Applikation kann das unter "tagesschau.de" vorgehaltene Angebot aufgerufen werden. Dieses besteht aus - teils um Standbilder oder Bildstrecken ergänzten - Textbeiträgen, aus Audio- und Videobeiträgen sowie aus interaktiven Elementen.
Mit ihrer Klage wenden sich die Klägerinnen gegen das am 15.06.2011 über die "Tagesschau-App" bereitgestellte Angebot und nehmen die Beklagten auf Unterlassung in Anspruch. Sie sind der Ansicht, dieses Angebot sei wettbewerbswidrig, weil es gegen die als Marktverhaltensregelung im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG einzustufende Bestimmung des § 11d Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Teilsatz 3 RStV verstoße. Danach sind nichtsendungsbezogene presseähnliche Angebote in Telemedien unzulässig.
Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Ein etwaiger Verstoß der Beklagten gegen das Verbot presseähnlicher Angebote könne (hier) keine wettbewerbsrechtlichen Ansprüche begründen, weil das Angebot des Online-Portals "tagesschau.de" im Zuge des "Drei-Stufen-Tests" von den mit der Prüfung befassten Einrichtungen als nicht presseähnlich eingestuft und freigegeben worden sei. Die Wettbewerbsgerichte seien an diese rechtliche Bewertung gebunden.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Verbot nichtsendungsbezogener presseähnlicher Angebote ist Marktverhaltensregelung im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG
Die Revision der Klägerinnen hatte hinsichtlich der Beklagten zu 1 keinen Erfolg. Das Berufungsgericht habe die Klage insoweit im Ergebnis mit Recht abgewiesen. Die Klage sei bereits unzulässig, da es sich bei der Beklagten zu 1, der ARD, um einen Zusammenschluss von Rundfunkanstalten handele, der als solcher nicht rechtsfähig ist und nicht verklagt werden könne.
Freigabe des Telemedienkonzepts "Tagesschau App" durch Niedersächsische Staatskanzlei nicht bindend für verfahrensgegenständliches Angebot - Differenzierung zwischen Konzept und konkreter Umsetzung
Hinsichtlich des Beklagten zu 2 - dem NDR - hatte die Revision der Klägerinnen dagegen Erfolg. Aufgrund der Freigabe des Telemedienkonzeptes durch die Niedersächsische Staatskanzlei stehe nicht mit bindender Wirkung für den vorliegenden Rechtsstreit fest, dass das am 15.06.2011 über die "Tagesschau-App" bereitgestellte Angebot im Online-Portal "tagesschau.de" nicht presseähnlich gewesen sei. Mit der Freigabe sei allenfalls das Konzept und jedenfalls nicht dessen konkrete Umsetzung im Einzelfall als nicht presseähnlich gebilligt worden. Bei dem Verbot nichtsendungsbezogener presseähnlicher Angebote im RStV handele es sich um eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG. Das Verbot habe zumindest auch den Zweck, die Betätigung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten auf dem Markt der Telemedienangebote zum Schutz von Presseverlagen zu begrenzen. Ein Verstoß gegen dieses Verbot könne daher wettbewerbsrechtliche Ansprüche der Verlage begründen.
Zurückverweisung: "Tagesschau-App" am 15.06.2011 in der Gesamtheit seiner nichtsendungsbezogenen Beiträge als presseähnlich einzustufen?
Der Bundesgerichtshof hat die Sache insoweit an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dieses muss nunmehr prüfen, ob das von den Klägerinnen beanstandete Angebot presseähnlich gewesen ist. Bei dieser Prüfung komme es nicht darauf an, ob einzelne Beiträge dieses Angebots als presseähnlich anzusehen sind, so der BGH. Entscheidend sei vielmehr, ob das über die "Tagesschau-App" am 15.06.2011 abrufbare Angebot des Online-Portals "tagesschau.de" in der Gesamtheit seiner nichtsendungsbezogenen Beiträge als presseähnlich einzustufen ist. Das sei der Fall, wenn bei diesem Angebot der Text deutlich im Vordergrund steht.
(tg) - Quelle: PM Nr. 075/2015 des BGH vom 30.04.2015
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Gramespacher
Online seit: 30.04.2015
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2708
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