Rechtsprechung
LG München I
Urteil vom 4.04.2006 - Az. 33 O 15828/05 (Domaingrabbing durch "abgreifen" einer eingeführten Domain unmittelbar nach deren Freigabe bzw. Löschung durch die DENIC. Registrierung, Anbieten zum Verkauf und Verlinken einer Domain als rechtswidrige und sittenwidrige Wettbewerbshandlungen, §§ 826, 1004 BGB, §§ 2, 3, 8, 12 UWG)
Zum Inhalt:
Die Nutzung kurzfristig frei gewordener Domain-Adressen, die von Dritten eingeführt und bekannt gemacht wurden, für eigene
kommerzielle Zwecke ohne Rücksicht auf die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Dritten stellt eine vorsätzliche sittenwidrige
Schädigung dar und ist zu unterlassen. Die betroffenen Dritten haben Anspruch auf Ersatz ihrer Abmahnkosten, §§ 826 und 1004 BGB, §§ 3, 8, 12 UWG.
Leitsätze (tg):
1. Sowohl die Registrierung als auch das Anbieten zum Verkauf und schließlich das Verlinken einer Domain können rechtswidrige Wettbewerbshandlungen
darstellen.
2. Dienen die Registrierung, das Anbieten zum Verkauf, als auch das Verlinken einer Domain auf eine konkrete Seite offensichtlich der Föderung der
Erbringung eigener Dienstleistungen, handelt es sich um Wettbewerbshandlungen im Sinne des § 2 I Nr. 1 UWG.
3. Wird eine Domain unmittelbar nach Ihrem "Freiwerden" (hier: Freigabe bzw. Löschung durch die DENIC) von einem Dritten im wahrsten Sinne des Wortes
abgegriffen, um diese sofort für eigene Zwecke zu nutzen und sich erkennbar den Umstand zu Nutze zu machen, dass zu erwarten ist, dass die Domain
gerade von solchen "Interessenten" aufgerufen wird, die die Domain nur als solche des früheren Domaininhabers kennen, liegt ein Fall des Domaingrabbings
(in einer alternativen Begehungsweise) vor.
4. Wird eine bereits eingeführte und benutzte Domain unter Missachtung jeglicher schutzwürdiger und berechtigter Interessen des vormaligen Domaininhabers
an seinem Namen und vor allem an seinem guten Ruf, durch einen Dritten für eigene kommerzielle Zwecke genutzt, kann dies als sittenwidrig zu beurteilen
sein (hier: Konnektierung der Domain auf pornografische Inhalte). Dabei kommt es nicht darauf an, ob die konkreten Inhalte per se sittenwidrig sind; allein
entscheidend ist das Interesse des vormaligen Domaininhabers daran, dass eine - ihm insoweit eindeutig zugeordnete Domain (hier aufgrund der Gestaltung,
als auch aufgrund der erfolgten jahrelangen Benutzung) - nicht ohne seine Zustimmung für Inhalte genutzt wird, die geeignet sind seinen Ruf negativ
zu beeinflussen. Dieses Interesse des vormaligen Domaininhaber wird auch dadurch nicht beeinflusst, dass die Domain aufgrund einer bewussten Entscheidung
des vormaligen Domaininhabers freigegeben wird.
5. Ist eine Wettbewerbshandlung nicht nur rechtswidrig sondern kumulativ auch sittenwidrig, kommt es auf die positive Überschreitung der
Erheblichkeitsschwelle des § 3 UWG nicht mehr an.
6. Die Vorschriften des Markengesetzes sind nach herrschender Meinung stets dann vorranging zu prüfen, wenn die Frage der Rechtmäßigkeit der Verwendung eines
Kennzeichens inmitten steht. Soweit eine andere - als eine markenmäßige - Verwendung des Kennzeichens zu beurteilen ist, sind hingegen die Vorschriften
insbesondere des UWG sowie des BGB nicht verdrängt. Dies ergibt sich bereits aus einzelnen Tatbeständen des UWG (z.B. § 4 Nr. 7 UWG), die andernfalls
von vorneherein überflüssig wären.
7. Bei § 12 I 2 UWG handelt es sich um einen gesetztlich geregelten, verschuldensunabhängigen Erstattungsanspruch, bei dem die Aufforderung zur Zahlung im Rahmen der Abmahnung unter Angabe von Streitwert und Gebühr ausreicht. Sinn des § 12 I 2 UWG ist es insoweit, die Rechte des Verletzten, nicht des Verletzers zu stärken.
MIR 2006, Dok. 052
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 19.04.2006
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/267
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