Rechtsprechung // Datenschutzrecht
BGH, Urteil vom 28.01.2014 - VI ZR 156/13
Keine Auskunft über SCHUFA Scoreformel - Zum Umfang des Auskunftsanspruchs des Betroffenen nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BDSG
BDSG § 34 Abs. 4; Richtlinie 95/46/EG Art. 12 Buchst. a, Art. 15 Abs. 1
Leitsätze:*1.
a) Ein durch eine Bonitätsauskunft der SCHUFA Betroffener hat gemäß § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 BDSG einen Anspruch auf Auskunft darüber, welche personenbezogenen, insbesondere kreditrelevanten Daten dort gespeichert sind und in die den Kunden der Beklagten mitgeteilten Wahrscheinlichkeitswerte (Scorewerte) einfließen.
b) Die sogenannte Scoreformel, also die abstrakte Methode der Scorewertberechnung, ist hingegen nicht mitzuteilen.
c) Zu den als Geschäftsgeheimnis geschützten Inhalten der Scoreformel zählen die im ersten Schritt in die Scoreformel eingeflossenen allgemeinen Rechengrößen, wie etwa die herangezogenen statistischen Werte, die Gewichtung einzelner Berechnungselemente bei der Ermittlung des Wahrscheinlichkeitswerts und die Bildung etwaiger Vergleichsgruppen als Grundlage der Scorekarten.
2. Die Auskunftsverpflichtung (nach § 34 Abs. 4 BDSG) soll dazu dienen, dass der Betroffene den in die Bewertung eingeflossenen Lebenssachverhalt erkennen und darauf reagieren kann. Hierzu bedarf es keiner Angaben zu Vergleichsgruppen und zur Gewichtung einzelner Elemente. Das gesetzgeberische Ziel eines transparenten Verfahrens wird dadurch erreicht, dass für den Betroffenen ersichtlich ist, welche konkreten Umstände als Berechnungsgrundlage in die Ermittlung des Wahrscheinlichkeitswerts eingeflossen sind. Insoweit kann er nachfolgend seinen Standpunkt geltend machen, diesbezügliche Fehler aufdecken und individuelle Besonderheiten erklären. Durch die vom Gesetz geforderte Einzelfallbezogenheit der Auskunft wird klargestellt, dass nicht die abstrakten Elemente der Scorecard in ihren Details wie Vergleichsgruppen und Gewichtungen, sondern die personenbezogenen Daten des Betroffenen und der Umstand ihres Einflusses auf das konkrete Berechnungsergebnis zu offenbaren sind. Eine Auskunft über die zugrunde liegende Scoreformel und ihre einzelnen Elemente folgt hieraus nicht.
3. Art. 12 Buchst. a 1. und 2. Spiegelstrich der Richtlinie 95/46/EG sichern dem Betroffenen lediglich Informationen über die Verarbeitung ihn betreffender Daten an sich sowie über Zweckbestimmungen der Verarbeitungen, über Daten bzw. Datenkategorien, die Gegenstand der Verarbeitung sind, über die Datenherkunft und Empfänger bzw. Empfängerkategorien der Daten. Dem Schutz der Privatsphäre soll insbesondere durch Auskunft über die Basisdaten des Betroffenen Rechnung getragen werden (vgl. EuGH, EuZW 2009, 546 Rn. 49 f. - Rijkeboer). Ein Recht auf Auskunftserteilung über konkrete Elemente eines Scoringverfahrens enthält die Richtlinie nicht. Im Gegenteil sieht ihr Erwägungsgrund 41 ausdrücklich vor, dass das Auskunftsrecht das Geschäftsgeheimnis nicht berühren und dieser Umstand nur nicht dazu führen darf, dass der betroffenen Person jegliche Auskunft verweigert wird.
4. Art. 12 Buchst. a 3. Spiegelstrich der Richtlinie 95/46/EG sieht eine Auskunft über den logischen Aufbau der automatisierten Verarbeitung nur dann zwingend vor, wenn eine automatisierte Einzelentscheidung im Sinne des Art. 15 Abs. 1 Richtlinie 95/46/EG vorliegt. Diese Vorschrift wiederum differenziert zwischen der automatisierten Verarbeitung von Daten zum Zweck der Bewertung einzelner Aspekte einer Person wie deren Kreditwürdigkeit einerseits und der aufgrund dieser Verarbeitung erfolgenden Entscheidung andererseits. Das Vorliegen einer automatisierten Verarbeitung stellt somit alleine noch keine automatisierte Entscheidung, sondern eine der Entscheidung vorausgehende Datenauswertung dar. Von einer automatisierten Einzelentscheidung kann im Falle des Scorings nur dann ausgegangen werden, wenn die für die Entscheidung verantwortliche Stelle eine rechtliche Folgen für den Betroffenen nach sich ziehende oder ihn erhebliche beeinträchtigende Entscheidung ausschließlich aufgrund eines Score-Ergebnisses ohne weitere inhaltliche Prüfung trifft, nicht aber, wenn die mittels automatisierter Datenverarbeitung gewonnenen Erkenntnisse lediglich Grundlage für eine von einem Menschen noch zu treffende abschließende Entscheidung sind (hier: verneint).
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Gramespacher
Online seit: 25.02.2014
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2558
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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