Rechtsprechung // Wettbewerbsrecht
OLG Nürnberg, Urteil vom 03.12.2013 - 3 U 410/13
Facebook-"Abmahnwelle" - Rechtsmissbräuchlichkeit der massenhaften Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen wegen Verstößen gegen § 5 TMG im Rahmen von Facebook-Seiten.
UWG § 4 Nr. 11, § 8 Abs. 1, Abs. 4, § 12; TMG § 5
Leitsätze:*1. Nach § 8 Abs. 4 UWG ist die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen.
Ein Missbrauch in diesem Sinne liegt vor, wenn der Anspruchsberechtigte mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen (BGH, Urteil vom 06.04.2000 - I ZR 76/98 - Missbräuchliche Mehrfachabmahnung; BGH, Urteil vom 05.10.2000 - I ZR 237/98 - Vielfachabmahner).
Das Vorliegen eines Missbrauchs ist jeweils im Einzelfall unter Berücksichtigung der gesamten Umständen im Rahmen einer sorgfältigen Gesamtwürdigung festzustellen (wird ausgeführt, hier: bejaht).
2. Indizien für einen Rechtsmissbrauch können sein (wird jeweils ausgeführt):
a) Das Aussprechen von zahlreichen Abmahnungen innerhalb weniger Tage (hier: 199 Abmahnungen gegenüber vermeintlichen Mitbewerben wegen Verletzung der Informationspflichten nach § 5 TMG auf den Facebook-Seiten der Abgemahnten im Zeitraum 08.08.2013 - 16.08.2012)
b) Eine "Abmahnwelle", die in keinem vernünftigen Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden steht.
c) Das Ausbleiben der gerichtlichen Verfolgung (sehr zahlreich) geltend gemachter Unterlassungsansprüche.
d) Die Ermittlung der behaupteten Verstöße durch massenhaftes systematisches Durchforsten (hier: von Facebook bzw. dem Internet mittels Suchsoftware - vgl. BGH, Urteil vom 05.10.2000 - I ZR 237/98 - Vielfachabmahner; OLG Nürnberg, Urteil vom 15.06.2004 - 3 U 643/03).
e) Der Umstand, dass der Anspruchsteller (Abmahnende) an der Verfolgung der beanstandeten Wettbewerbsverstöße kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse haben kann (hier: Formalverstöße, wegen einer unvollständigen Anbieterkennzeichnung auf den Facebook-Seiten der Abgemahnten, bei denen nicht ersichtlich ist, dass nennenswerte Wettbewerbsnachteile des Anspruchsstellers entstehen können).
Ebenfalls mit Urteil vom 03.12.2013 entschied das Gericht (wort-) identisch in einem Parallelverfahren (Az. 3 U 348/13).
Bearbeiter: RA Thomas Gramespacher
Online seit: 20.12.2013
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2531
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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