Rechtsprechung
OLG Celle, Urteil vom 30.07.2009 - 13 U 77/09
Indizien einer missbräuchlichen Anspruchsverfolgung - Es obliegt dem Anspruchsgegner, Indizien vorzutragen, die für eine missbräuchliche Geltendmachung eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG sprechen. Gelingt ihm dies, obliegt es dem Anspruchsteller, diese Umstände zu widerlegen.
UWG §§ 5 Abs. 1, 8 Abs. 4, 12 Abs. 2
Leitsätze:*1. Sind sachfremde Ziele das beherrschende Motiv des Gläubigers bei der Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche, ist von einem
Missbrauch im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG auszugehen. Ausreichend ist hierbei, dass die sachfremden Ziele überwiegen und nicht das alleinige Motiv
der Anspruchsverfolgung sind.
2. Es obliegt dem Anspruchsgegner, Indizien vorzutragen, die für eine missbräuchliche Geltendmachung eines wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruchs
im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG sprechen. Gelingt ihm dies, obliegt es dem Anspruchsteller, diese Umstände zu widerlegen (BGH, Urteil vom 17.11.2005 - Az. I ZR 300/02).
3. Indizien für eine missbräuchliche Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche können sein, der erheblich überhöhte Ansatz des Streitwerts,
dass der Antragsteller den Prozess bei einem Gericht, das in erheblicher Entfernung zum Geschäfts-/Wohnsitz des Verletzers liegt anhängig macht (KG Berlin,
Beschluss vom 25.01.2008 - Az. 5 W 371/07 = MIR 2008, Dok. 061), das kollusive Zusammenwirkung des Antragstellers mit seinem Prozessbevollmächtigten dergestalt, dass
der Antragstellers an den erzielten Gebühren des Prozessbevollmächtigten partizipiert (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 14.12.2006 - Az. 6 U 129/06 = MIR 2007, Dok. 016),
das Nichtvorliegen eines nennenswerten eigenen wirtschaftlichen Interesses des Abmahnenden an der Unterlassung der Wettbewerbshandlung (vgl. BGH, Urteil vom
05.10.2000 - Az. I ZR 237/98 - Vielfachabmahner; OLG Naumburg, Urteil vom 13.07.2007 - Az. 10 U 14/07 = MIR 2007, Dok. 438) sowie die Anzahl der ausgesprochenen Abmahnungen.
4. Die Anzahl der ausgesprochenen Abmahnungen allein reicht indes nicht aus, um einen Missbrauch bei der Geltendmachung und Verfolgung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche
anzunehmen (KG Berlin, Beschluss vom 25.01.2008 - Az. 5 W 371/07 = MIR 2008, Dok. 061; OLG Naumburg, Urteil vom 13.07.2007 - Az. 10 U 14/07 = MIR 2007, Dok. 438; OLG München, Beschluss vom
12.12.2006 - Az. 6 W 2908/06). Ohne das Hinzutreten weiterer Indizien sind 164 in 5 Jahren (ca. 35 Abmahnungen pro Jahr) ausgesprochene Abmahnungen noch unbedenklich.
5. Die Vermutung der Dringlichkeit nach § 12 Abs. 2 UWG ist widerlegt, wenn der Antragsteller durch sein Verhalten zu erkennen gibt, dass ihm die Verfolgung
der vermeintlichen Verletzungshandlung "nicht eilig ist". Dies ist der Fall, wenn er längere Zeit nach Kenntnis der wesentlichen Tatsachen der vermeintlichen
Verletzungshandlung sowie der ihm dadurch drohenden Nachteile nicht gegenüber dem Wettbewerber tätig geworden ist (OLG Celle, Beschluss vom 05.08.2008 - Az. 13 W 89/08).
Hierbei obliegt die Darlegung und Glaubhaftmachung der für die Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung erforderlichen Umstände indes dem Antragsgegner
(vgl. OLG München, Beschluss vom 22.04.2008 - Az. 29 W 1211/06).
6. Die Angabe "regulärer Preis" (hier: "regulärer Ladenpreis 236 EUR") ist für den Verbraucher mehrdeutig und daher irreführend im Sinne vom § 5 Abs. 1 UWG, weil darunter
der Preis eines Mitbewerbers, ein empfohlener Preis, ein gebundener Preis oder ein eigener früherer Preis verstanden werden kann
(BGH, Urteil vom 03.04.1970 - Az. I ZR 117/65; OLG Stuttgart, Beschluss vom 18.08.2000 - Az. 2 U 113/00).
Bearbeiter: RA Thomas Gramespacher
Online seit: 04.10.2009
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2041
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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