Kurz notiert
Bundesgerichtshof
Fall "Esra" - Bundesgerichtshof entscheidet nach Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts erneut. Verfremdung der "Lale" nach gebotener kunstspezifischer Betrachtung ausreichend.
BGH, Urteil vom 10. Juni 2008 - VI ZR 252/07; Vorinstanz: LG München I, Urteil vom 15.10.2003 - Az. 9 O 11360/03, OLG München, Urteil vom 6.4.2004 - Az. 18 U 4890/03
MIR 2008, Dok. 175, Rz. 1
1
Zur Sache
Die Klägerinnen (Tochter und Mutter) haben sich gegen die Veröffentlichung des von der Beklagten verlegten Romans "Esra" von Maxim Biller gewandt. Das Buch handelt im Wesentlichen von einer Liebesbeziehung zwischen Esra und dem Ich-Erzähler. Die Klägerinnen haben geltend gemacht, der Roman verletze ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht, weil sich die Schilderung der Romanfiguren Esra und Lale eng an ihrem Leben orientiere.
Verfahrensverlauf
Die Vorinstanzen haben die Veröffentlichung des Buchs untersagt. Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Beklagten mit Urteil vom 21. Juni 2005 – VI ZR 122/04 - zurückgewiesen. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Urteil teilweise, nämlich hinsichtlich des Unterlassungsantrags der Klägerin zu 1, der Tochter, bestätigt, die Revisionsentscheidung jedoch hinsichtlich des Unterlassungsantrags der Klägerin zu 2, der Mutter, aufgehoben und die Sache insoweit an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.
Entscheidung des BVerfG: Kunstspezifische Betrachtung geboten.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Beurteilung des Bundesgerichtshofs gebilligt, dass der Klägerin zu 1 ein Unterlassungsanspruch zustehe, weil sie als "Esra" eindeutig erkennbar gemacht sei, deren Darstellung die Intimsphäre der Klägerin zu 1 verletze und der Roman zudem auch mit der Schilderung der tatsächlich bestehenden lebensbedrohlichen Krankheit ihrer Tochter in schwerwiegender Weise ihr Persönlichkeitsrecht beeinträchtige. Dagegen werde die Revisionsentscheidung hinsichtlich der Klägerin zu 2 der gebotenen kunstspezifischen Betrachtung nicht in jeder Hinsicht gerecht.
Erneute Entscheidung des BGH nach Vorgaben des BVerfG: Verfremdung der "Lale" nach der gebotenen kunstspezifischen Betrachtung deutlich genug angelegt.
Die hiernach gebotene erneute Abwägung hat nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu dem Ergebnis geführt, dass bezüglich der Klägerin zu 2 der Kunstfreiheit der Vorrang gebührt. Die Verfremdung ist bei der Figur der Lale sehr viel deutlicher angelegt als bei der Figur der Esra. Die gegebene Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin zu 2 ist deshalb weniger schwerwiegend. Der Bundesgerichtshof hat daher die Unterlassungsklage der Klägerin zu 2 abgewiesen.
(tg) - Quelle: PM Nr. 110/2008 des BGH vom 10.06.2008
Die Klägerinnen (Tochter und Mutter) haben sich gegen die Veröffentlichung des von der Beklagten verlegten Romans "Esra" von Maxim Biller gewandt. Das Buch handelt im Wesentlichen von einer Liebesbeziehung zwischen Esra und dem Ich-Erzähler. Die Klägerinnen haben geltend gemacht, der Roman verletze ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht, weil sich die Schilderung der Romanfiguren Esra und Lale eng an ihrem Leben orientiere.
Verfahrensverlauf
Die Vorinstanzen haben die Veröffentlichung des Buchs untersagt. Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Beklagten mit Urteil vom 21. Juni 2005 – VI ZR 122/04 - zurückgewiesen. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Urteil teilweise, nämlich hinsichtlich des Unterlassungsantrags der Klägerin zu 1, der Tochter, bestätigt, die Revisionsentscheidung jedoch hinsichtlich des Unterlassungsantrags der Klägerin zu 2, der Mutter, aufgehoben und die Sache insoweit an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.
Entscheidung des BVerfG: Kunstspezifische Betrachtung geboten.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Beurteilung des Bundesgerichtshofs gebilligt, dass der Klägerin zu 1 ein Unterlassungsanspruch zustehe, weil sie als "Esra" eindeutig erkennbar gemacht sei, deren Darstellung die Intimsphäre der Klägerin zu 1 verletze und der Roman zudem auch mit der Schilderung der tatsächlich bestehenden lebensbedrohlichen Krankheit ihrer Tochter in schwerwiegender Weise ihr Persönlichkeitsrecht beeinträchtige. Dagegen werde die Revisionsentscheidung hinsichtlich der Klägerin zu 2 der gebotenen kunstspezifischen Betrachtung nicht in jeder Hinsicht gerecht.
Erneute Entscheidung des BGH nach Vorgaben des BVerfG: Verfremdung der "Lale" nach der gebotenen kunstspezifischen Betrachtung deutlich genug angelegt.
Die hiernach gebotene erneute Abwägung hat nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu dem Ergebnis geführt, dass bezüglich der Klägerin zu 2 der Kunstfreiheit der Vorrang gebührt. Die Verfremdung ist bei der Figur der Lale sehr viel deutlicher angelegt als bei der Figur der Esra. Die gegebene Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin zu 2 ist deshalb weniger schwerwiegend. Der Bundesgerichtshof hat daher die Unterlassungsklage der Klägerin zu 2 abgewiesen.
(tg) - Quelle: PM Nr. 110/2008 des BGH vom 10.06.2008
Online seit: 10.06.2008
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1640
// Artikel gesammelt "frei Haus"? Hier den MIR-Newsletter abonnieren
Was Sie noch interessieren könnte...
Papierspender - Der Schutzfähigkeit eines Erzeugnisses als (Gemeinschafts-)Geschmacksmuster steht es nicht entgegen, dass für dasselbe Erzeugnis ein technisches Schutzrecht beantragt oder erteilt wurde
BGH, Urteil vom 07.10.2020 - I ZR 137/19, MIR 2021, Dok. 001
Pizzafoto - Zuständigkeitskonzentration und Rechtsmitteleinlegung beim funktional unzuständigen Gericht bei fehlerhafter Rechtsmittelbelehrung des erstinstanzlichen Gerichts
BGH, Beschluss vom 07.06.2018 - I ZB 48/17, MIR 2018, Dok. 050
Kaffeebereiter - Zur Darlegungs- und Beweislast bei der Beanspruchung wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes und zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Prüfung einer vermeidbaren Herkunftstäuschung
BGH, Urteil vom 01.07.2021 - I ZR 137/20, MIR 2021, Dok. 089
UKlaG-Streitwert - Bei einer auf § 1 oder § 4a UKlaG gestützten Klage eines Wirtschaftsverbands sind Gebührenstreitwert und Beschwer regelmäßig mit EUR 2.500,00 je angegriffener Teilklausel zu bemessen
BGH, Beschluss vom 17.11.2020 - X ZR 3/19, MIR 2021, Dok. 003
Verbreitung rechtswidriger Filmaufnahmen aus Bio-Hühnerställen zulässig
Bundesgerichtshof, MIR 2018, Dok. 019
BGH, Urteil vom 07.10.2020 - I ZR 137/19, MIR 2021, Dok. 001
Pizzafoto - Zuständigkeitskonzentration und Rechtsmitteleinlegung beim funktional unzuständigen Gericht bei fehlerhafter Rechtsmittelbelehrung des erstinstanzlichen Gerichts
BGH, Beschluss vom 07.06.2018 - I ZB 48/17, MIR 2018, Dok. 050
Kaffeebereiter - Zur Darlegungs- und Beweislast bei der Beanspruchung wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes und zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Prüfung einer vermeidbaren Herkunftstäuschung
BGH, Urteil vom 01.07.2021 - I ZR 137/20, MIR 2021, Dok. 089
UKlaG-Streitwert - Bei einer auf § 1 oder § 4a UKlaG gestützten Klage eines Wirtschaftsverbands sind Gebührenstreitwert und Beschwer regelmäßig mit EUR 2.500,00 je angegriffener Teilklausel zu bemessen
BGH, Beschluss vom 17.11.2020 - X ZR 3/19, MIR 2021, Dok. 003
Verbreitung rechtswidriger Filmaufnahmen aus Bio-Hühnerställen zulässig
Bundesgerichtshof, MIR 2018, Dok. 019