Rechtsprechung
OLG Karlsruhe, Urteil vom 29.02.2008 - 14 U 199/07
Innere Vorgänge und Befindlichkeiten - Zum Gegendarstellungsanspruch bei Äußerungen über innere Befindlichkeiten auf der Titelseite einer Zeitschrift mit Hinweis auf einen zugehörigen Artikel und zur möglichen Einschränkung von Umfang und Aufmachung der Gegendarstellung auf einer Titelseite.
Bad-württ. LPG § 11 Abs. 1
Leitsätze:*1. Gemäß § 11 Abs. 1 bad-württ. LPG ist der Verleger eines periodischen Druckwerks zum Abdruck einer
Gegendarstellung verpflichtet, soweit der den Abdruck Verlangende durch eine Tatsachenbehauptung betroffen ist
und sich die beantragte Gegendarstellung als Entgegnung auf eine in der Erstmitteilung enthaltene Tatsachenbehauptung
darstellt.
2. Maßgeblich dafür, in welcher Weise eine veröffentlichte Äußerung zu verstehen ist, ist der ihr vom
maßgeblichen Empfängerkreis beigelegt Sinngehalt.
Adressaten einer auf der Titelseite einer Zeitschrift platzierten Mitteilung sind vor allem die als Käufer des
Presseprodukts in betracht kommenden Passanten und Besucher von Kiosken sowie von Zeitschriftenabteilungen von
Supermärkten u.ä. (sog. "Kiosk-Leser").
3. Auf innere Vorgänge und Befindlichkeiten des Betroffenen bezogene Äußerungen sind nur dann nicht als Meinungsäußerung,
sondern als Tatsachenbehauptung zu werten, wenn die innere Tatsache erkennbar mit äußeren Geschehnissen in Beziehung gesetzt
wird, also mit äußeren - und damit dem Beweis zugänglichen - Hilfstatsachen begründet wird.
4. Eine Äußerung auf der Titelseite einer Zeitschrift über innere Befindlichkeiten des Betroffenen (hier: "Seine schlimme
Zeit in der Gefangenschaft holt ihn jetzt ein") ist dann als Tatsachenbehauptung einzustufen, wenn die Äußerung mit einem
Hinweis auf den Artikel im Heftinneren (hier: "Seite 7") verbunden ist und beim durchschnittlichen Empfänger damit
der Eindruck erweckt wird, dass in dem insoweit angekündigten Artikel Tatsachen mitgeteilt werden, die den
Schluss auf die behauptete innere Befindlichkeit des Betroffenen zulassen. Etwas anderes kann sich nur dann ergeben, wenn
der durchschnittliche "Kiosk-Leser" von vorneherein davon ausgeht, dass auf die betreffenden Behauptungen aus der Luft
gegriffen sind und nicht durch Tatsachen belegt werden.
5. Soweit die Darstellung einer Gegendarstellung auf der Titelseite in gleiche Schriftgröße wie die Erstmitteilung
das Erscheinungsbild der Titelseite in so starker Weise prägt, dass die Titelseite durch Umfang und Aufmachung der
Gegendarstellung ihre Funktion verliert, eine Identifizierung des Blattes zu ermöglichen, die
als besonders wichtig erachteten Mitteilungen aufzunehmen und das Interesse des Publikums zu erregen (BVerfGE 97, 125, 151),
kann der Betroffene eine gewisse Reduzierung der Schriftgröße hinzunehmen haben. Gleichwohl darf dies auch nicht
die Entwertung der Gegendarstellung zur Folge haben.
Bearbeiter: RA Thomas Gramespacher
Online seit: 16.03.2008
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1550
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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