Rechtsprechung
BVerfG, Beschluss vom 19.02.2008 - 1 BvR 1886/06
Anwaltsversteigerung - Die Versteigerung anwaltlicher Beratungsleistungen auf der Plattform eines Internetauktionshauses ist nicht grundsätzlich berufsrechtswidrig.
GG Art. 12; BRAO § 43b; BORA § 3, 6 Abs. 1; RVG §§ 4, 14, 34
Leitsätze:*1. Nach § 43b BRAO dürfen Rechtsanwälte über ihre berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichten,
soweit die Werbung nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist.
Die Ansicht, anwaltliche Beratungsleistungen dürften (per se) nicht in einem Internetauktionshaus versteigert werden, lässt
die Grenzen unebrücksichtigt, die Art. 12 Abs. 1 GG für ein berufsrechtliches Werbeverbot aufstellt.
2. Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, das Angebot anwaltlicher Beratungsleistungen auf der
Plattform eines Internetauktionshauses als Werbemaßnahme zu behandeln. Ein solches Verhalten erfüllt die Anforderungen
für das Vorliegen von Werbung; denn es ist planvoll darauf angelegt, andere dafür zu gewinnen, die Leistungen
des anbietenden Rechtsanwalts in Anspruch zu nehmen (vgl. BVerfGE 111, 366). Daran ändert der Umstand nichts,
dass ein solches Versteigerungsangebot über sonstige Formen der Werbung insoweit hinausgeht, als Interessenten
nicht nur über die Leistungen des Anbieters informiert werden, sondern ihnen die zusätzliche Möglichkeit geboten
wird, durch Abgabe von Geboten zur Preisermittlung beizutragen und mit der Abgabe des Höchstgebotes auf diesem
Weg auch Vertragspartner des Rechtsanwalts zu werden. Jedenfalls für den Fall standardisierter
anwaltlicher Beratungsleistungen sind keine Gemeinwohlbelange ersichtlich, die es vor der durch Art. 12 Abs. 1 GG
garantierten Berufsfreiheit rechtfertigen könnten, allein aus diesen Gründen eine Versteigerung als berufswidrig
zu verbieten.
3. § 43b BRAO schließt nicht aus, einen potentizellen Mandanten zu umwerben, wenn noch kein konkreter, dem
Rechtsanwalt bekannter Beratungsbedarf besteht. Insoweit ist die Versteigerung anwaltlicher Beratungsleistungen
in einem Internetauktionshaus nicht als Werbung um eine Mandat im Einzelfall zu behandeln, wenn die
Internetauktion dazu dient, aus einem zuvor nicht bekannten Beratungsbedarf ein konkretes Mandat zu gewinnen.
4. Die Versteigerung von anwaltlichen Beratungsleistungen in einem Internetauktionshaus stellt keine -
der Form nach oder aufgrund des Inhalts - unsachliche Werbung dar. Insofern ist auch die Wiedergabe der
angebotenen Beratungsleistungen mit einem niedrigen Startpreis oder dem aktuellen Höchstgebot nicht irreführend,
wenn der angegebene Preis ausdrücklich als "Startpreis" oder "aktuelles Höchstgebot" bezeichnet ist.
5. § 43b BRAO und § 6 Abs. 1 BORA legt nicht abschließend fest, welche Informationen im Rahmen der Werbung
durch Rechtsanwälte zulässig sind. Der einzelne Berufsangehörige hat es in der Hand, in welcher Weise er
sich für die interessierte Öffentlichkeit darstellt, solange er sich in dem durch schützenswerte Gemeinwohlbelange
gezogenen Rahmen hält. Die Werbung darf hiernach nicht das Vertrauen der Rechtsuchenden beeinträchtigen, der
Rechtsanwalt werde nicht aus Gewinnstreben zu Prozessen raten oder die Sachbehandlung an Gebühreninteressen
ausrichten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. April 2000 - Az. 1 BvR 721/99).
Für eine Beeinträchtigung dieses Gemeinwohlbelangs ist bei Werbung mittels eines Internetangebots nichts ersichtlich.
Allein das Zustandekommen des Mandats im Rahmen einer Internetauktion lässt keinen Rückschluss auf die
spätere Bearbeitung der Sache durch den Rechtsanwalt zu.
6. Durch eine Versteigerung anwaltlicher Beratungsleistungen wird die gebührenrechtliche Bestimmung des § 14
RVG nicht konterkariert. Denn dem Rechtsanwalt steht es frei, nach Maßgabe des § 4 RVG, eine von den gesetzlichen
Gebühren und damit auch eine von § 14 RVG abweichende Honorarvereinbarung zu treffen. Dies gilt umso mehr, als
der Rechtsanwalt durch § 34 Abs. 1 RVG angehalten wird, für einen Rat oder eine Auskunft (Beratung) eine
Gebührenvereinbarung mit dem Mandanten zu treffen und daher in zahlreichen Fällen die Grundlage einer Anwendung
von § 14 RVG ohnehin fehlt.
7. Eine Versteigerung anwaltlicher Beratungsleistungen verstößt auch nicht gegen das Verbot des § 49b Abs. 3 BRAO, wonach
dem Rechtsanwalt untersagt wird, Provisionen für die Vermittlung von Aufträgen zu zahlen. Soweit bei Internetauktionen
das Auktionshaus neben einer Angebotsgebühr auch eine vom Höchtsgebot abhängige Provision erhält, wird diese
jedoch nicht für die Vermittlung des Auftrags, sondern für die Bereitstellung des Mediums für die Werbung fällig.
Eine solche Leistung ist vergleichbar mit den Leistungen "herkömmlicher" Werbemedien.
8. Die Internetversteigerung anwaltlicher Beratung ist auch nicht deswegen berufsrechtswidrig, weil der Rechtsanwalt
den Mandanten nicht vor Wirksamwerden des Mandatsvertrages persönlich kennen lernt. Es liegt keine Unvereinbarkeit
mit der - durch ein spezifisches Vertrauensverhältnis gekennzeichneten - Beziehung des Anwalts zu seinem Mandanten vor.
Vielmehr ist der Anwalt nicht verpflichtet, seine Mandanten vor dem Vertragsabschluss persönlich kennen zu lernen.
Auch das Verbot der Vertretung widerstreitender Interssen untersagt nicht bereits den Abschluss des
Anwaltsvertrags, sondern untersagt dem Rechtsanwalt "tätig (zu) werden" (§ 3 Abs. 1 BORA) bzw. verpflichtet ihn
für den Fall unverzüglich alle Mandate in derselben Rechtssache zu beenden (§ 3 Abs. 4 BORA).
9. Die Versteigerung anwaltlicher Beratungsleistungen ist auch nicht berufsrechtswidrig, weil der
Rechtsanwalt sein Angebot wirksam nur an den Höchstbietenden richtet und dadurch der Anschein erweckt wird, es handele
sich um eine normierte Handelsware mit dem Ziel einer maximalen Gewinnerzielung. Gerade § 34 RVG eröffnet dem
Rechtsanwalt den Preiswettbewerb.
10. Durch die Versteigerung von Beratungsleistungen in einem Internetauktionshaus wird das Ansehen der
Anwaltschaft nicht in verfassungsrechtlich relevanter Weise beeinträchtigt. Das Ansehen eines Berufes
kann unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nur Bedeutung erlangen, wenn es über bloße
berufsständische Belange hinaus das Allgemeininteresse berührt (vgl.BVerfGE 66, 337; BVerfGE 76, 171).
Dies ist bei einer Internetversteigerung anwaltlicher Beratungsleistungen grundsätzlich nicht der Fall.
Bearbeiter: RA Thomas Gramespacher
Online seit: 07.03.2008
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1539
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
// Artikel gesammelt "frei Haus"? Hier den MIR-Newsletter abonnieren
Bundesgerichtshof, MIR 2017, Dok. 022
Haftung des Plattformbetreibers - Nach Kenntnis einer Kennzeichnungspflichtverletzung (hier Milchersatzprodukte) kann für amazon eine Verpflichtung zur Verhinderung (und Beseitigung) gleichartiger Rechtsverletzungen bestehen
OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 21.12.2023 - 6 U 154/22, MIR 2024, Dok. 007
Grundsätzlich keine wettbewerbsrechtliche Haftung von Anbietern für Kundenbewertungen bei Amazon
Bundesgerichtshof, MIR 2020, Dok. 013
Ballaststoffreich - Zum Vorliegen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses zwischen einem Bio-Bauer und dem Betreiber eines Online-Shop im Hinblick auf das Angebot von Müslimischungen und Zutaten
OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 11.11.2021 - 6 U 81/21, MIR 2021, Dok. 099
Selbstwiderlegung der Dringlichkeitsvermutung - Das volle Ausschöpfen der gesetzlichen Berufungseinlegungs- und -begründungsfristen ist in der Regel nicht dringlichkeitsschädlich
OLG Nürnberg, Urteil vom 24.10.2023 - 3 U 965/23, MIR 2023, Dok. 075