Rechtsprechung
Hanseatisches OLG, Urteil vom 26.09.2007 - 5 U 165/06
marions-kochbuch.de ./. chefkoch.de - Zur Haftung eines Themenportalbetreibers für durch Dritte - eigenverantwortlich - eingestellte Inhalte und Bilder, die den "redaktionellen Kerngehalt" des gesamten Angebots ausmachen. Zur Frage des "Zu-Eigen-Machens" fremder Inhalte.
TMG §§ 7, 8, 9, 10 UrhG §§ 19a, 97 Abs. 1 ZPO § 287
Leitsätze:*1. Der Betreiber eines Themenportals (hier: chefkoch.de) im Internet, innerhalb dessen eine Vielzahl
informativer und kommerzieller Angebote enthalten sind und das auch als kommerzielle Werbeplattform angeboten
und genutzt wird, macht sich die von Nutzern dieses Portals - eigenverantwortlich - eingestellten Inhalte bzw.
"fremden Informationen" (hier: Kochrezepte, auch nebst passenden Bildern) jedenfalls dann zu Eigen, wenn diese Informationen
den "redaktionellen Kerngehalt" des gesamten Angebots ausmachen. Dann lässt sich der Seitenbetreiber
die materiellen Inhalte seines Angebots letztlich (nur) freiwillig durch dritte Personen gestalten, während
er hieraus den kommerziellen Nutzen zieht. In einem solchen Fall kann der Betreiber der Seite als
Diensteanbieter "eigener Informationen" i.S.v. § 7 Abs. 1 TMG unmittelbar verantwortlich sein
(hier: für Urheberrechtsverstöße an Lichtbildern - Lebensmittelfotografie).
2. Vermittelt der Aufbau einer Internetseite, die fremde Inhalte zum Inhalt hat, dem verständigen Internetnutzer den Eindruck, dass der Betreiber
sich diese Inhalte zu Eigen macht, kommt es auf die Intentionen des Betreibers, dies in (rechtlicher Hinsicht) nicht
beabsichtigt zu haben, nicht an.
3. Ein solche "Aneignung" von fremden Inhalten kann dadurch zum Ausdruck kommen, dass der Betreiber eines Portals
eigentlich fremde Inhalte mit einem Emblem (hier: Kochmütze innerhalb einer Druckversion) als "digitalem
Eigentumshinweis" kennzeichnet und den Benutzern die betreffenden Inhalte (hier: Rezepte nebst Bild) als eigenes
Produkt vermittelt. Erfolgt zwar in diesem Zusammenhang die Angabe des Verfassers bzw. Einsenders, entkräftet diese
dann nicht den Eindruck, es handele sich um Inhalte in eigener Verantwortung des Betreibers, wenn
die Angabe des Verfassers bzw. Einsenders nur im Hintergrund steht bzw. insofern als nicht identifizierbares Pseudonym
erfolgt.
4. Für eine Aneignung fremder Inhalte spricht auch, wenn der Betreiber nach eigenen Angaben die Inhalte
vor ihrer Freischaltung redaktionell überprüft, hochgeladene Bilder mit seinem Namen und/oder Logo
bzw. seines Dienstes versieht, sich im Rahmen seiner Nutzungs- bzw. Allgemeine Geschäftsbedingungen
ausdrücklich umfassend eigene urheberrechtlichen Nutzungsrechte übertragen lässt und seine Dienste als
"erweitertes Angebot" Dritten kostenpflichtig zur Nutzung anbietet.
5. Derjenige Diensteanbieter, der Dritten - im eigenen kommerziellen und seinem Geschäftsmodell zu Grunde liegenden
Interesse - die Möglichkeit bietet, Lichtbilder und/oder Texte in das Internet hochzuladen und einzustellen und sich
diese Inhalte als Kernelement seiner wirtschaftlichen Tätigkeit zu Eigen macht, hat die erforderlichen Schutzmaßnahmen
zu treffen um Urheberrechtsverstöße zu vermeiden und kann sich nicht auf eine faktische Unmöglichkeit solcher
Maßnahmen berufen.
6. "Hosting" i.S.v Art. 14 Richtlinie 2000/31/EG vom 08.06.2000 (E-Commerce-Richtlinie) liegt nicht vor, wenn
ein Diensteanbieter durch Dritte auf seinen Servern hinterlegte Informationen aktiv in sein kommerzielles
Angebot einbindet und sich diese Inhalte zu Eigen macht. Im Fall des "Hosting" wählt der Anbieter
die übermittelten Informationen gerade nicht aus oder verändert diese. Gleiches gilt für die Fälle der
"Reinen Durchleitung" (Art. 12) und des "Cachings" (Art. 13).
7. Art. 15 Richtlinie 2000/31/EG vom 08.06.2000 (E-Commerce-Richtlinie) verpflichtet die Mitgliedstaaten, Anbietern
von Diensten im Sinne der Art. 12, 13 und 14 (Durchleitung, Caching, Hosting) keine allgemeinen Verpflichtungen
aufzuerlegen, "die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder aktiv nach Umständen
zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hinweisen". Diese Regelungen betreffen indes nicht die
Verantwortung von Diensteanbietern für Informationen, die sie sich zu Eigen gemacht haben.
8. Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Unterlassungsschuldner sein Vertragsstrafeversprechen betragsmäßig begrenzt.
Das Angebot einer Vertragsstrafe bis zu einer bestimmten Höhe, wobei es dem Gläubiger überlassen bleibt,
innerhalb des festgelegten Rahmens die für die konkrete Zuwiderhandlung angemessene
Vertragsstrafe zu bestimmen, kann geeignet sein, die Wiederholungsgefahr auszuschließen (BGH GRUR 1985, 155, 157 -
Vertragsstrafe bis zu ... I; BGH GRUR 1985, 937, 938 - Vertragsstrafe bis zu ... II). Ist ungewiss, ob die
betragsmäßige Obergrenze "für jeden Fall der Zuwiderhandlung" oder als absolute Obergrenze für alle
von der Unterlassungsverpflichtung umfassten Rechtsverstöße gemeint ist, ist eine solche Erklärung
in der Regel dahin auszulegen, dass die Vertragsstrafe "für jeden Fall der Zuwiderhandlung" versprochen wird
(BGH GRUR 1985, 937, 938 - Vertragsstrafe bis zu ... II). Die Obergrenze eines Vertragsstraferahmens muss die Höhe eines
fest zu vereinbarenden Betrags hierbei in angemessener Weise übersteigen. Als ungefährer Richtwert für den Regelfall
ist hierbei von dem doppelten der im jeweiligen Fall als "fester" Betrag angemessenen Vertragsstrafe auszugehen
(BGH GRUR 1985, 937, 938 - Vertragsstrafe bis zu ... II).
9. Der Schadenersatz für die rechtsverletzende Verwertung geschützter Lichtbildwerke von durchschnittlichem Nutzwert
(hier: Lebensmittelfotografie) auf einer - grundsätzlich kostenlosen - Internetplattform ist auf Grundlage der
MFM-Empfehlungen "Bildhonorare", bei einer Verwendungsdauer von bis zu einem Jahr mit 100,00 EUR je Bild zu bemessen.
Auch bei fehlendem Bildquellennachweis kommt eine Verdoppelung des geschuldeten Honorars nicht in Betracht, wenn es
der Art der rechtsverletzenden Nutzung immanent ist, das der Verletzer nicht davon ausgegangen ist, dass ein solcher
Nachweis geschuldet wäre.
Bearbeiter: RA Thomas Gramespacher
Online seit: 27.02.2008
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1528
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
// Artikel gesammelt "frei Haus"? Hier den MIR-Newsletter abonnieren
OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 30.03.2020 - 11 W 8/20, MIR 2020, Dok. 050
Urlaubslotto - Unzulässige Nutzung eines Prominentenbildes für die Bebilderung eines Gewinnspiels
Bundesgerichtshof, MIR 2021, Dok. 008
Payout Fee - Wettbewerbsrechtlicher Beseitigungsanspruch kann im geltenden System des kollektiven Rechtsschutz nicht (auch) die Rückzahlung zu Unrecht einbehaltener Geldbeträge an Verbraucher umfassen
Bundesgerichtshof, MIR 2024, Dok. 073
Paranoid veranlagte Anwaltskollegin - Die Bezeichnung einer Anwaltskollegin als "paranoid veranlagt" und die Beschreibung ihres Verhaltens als "gezeigte paranoide Verhaltensweisen" kann rechtswidrig sein
OLG Köln, Urteil vom 13.04.2022 - 6 U 198/21, MIR 2022, Dok. 037
MeinPaket.de II - Zur Frage, welche Informationen der Unternehmer bei einer Aufforderung zum Kauf im Rahmen einer Zeitungsanzeige erteilen muss
BGH, Urteil vom 14.09.2017 - I ZR 231/14, MIR 2017, Dok. 047