Rechtsprechung
OLG Hamm, Urteil vom 23.10.2007 - 4 U 99/07
"Virtuelles Hausverbot" - Nur das "virtuelle Hausverbot" (durch Sperrung der IP-Adresse) gegenüber einem wettbewerbskonform handelnden Tester stellt sich regelmäßig als eine verbotswidrige Behinderung dar.
UWG §§ 3, 4 Nr. 10, 8 Abs. 1
Leitsätze:*1. Nach § 4 Nr. 10 UWG handelt im Sinne von § 3 UWG unlauter, wer Mitbewerber gezielt behindert.
Behinderung ist dabei jede Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeiten,
wenn der Zweck verfolgt wird, den Mitbewerber an seiner Entfaltung zu hindern und ihn dadurch zu verdrängen.
Ist eine solche Zwecksetzung nicht festzustellen, muss die Behinderung jedenfalls derart
sein, dass der beeinträchtigte Mitbewerber seine Leistung am Markt durch eigene Anstrengungen
nicht mehr in angemessener Weise zur Geltung bringen kann, was aufgrund einer Gesamtwürdigung
des Einzelfalles und einer umfassenden Interessenabwägung festzustellen ist (BGH GRUR 2001, 1061 – Mitwohnzentrale.de;
BGH GRUR 2004, 877 – Werbeblocker). Ein absichtliches Handelns oder eine positive Kenntnis der Behinderung
wird nicht vorausgesetzt. Erfasst werden vielmehr auch Maßnahmen, die bei objektiver Betrachtung
unmittelbar auf die Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeit eines Mitbewerbers gerichtet
sind ("objektive Finalität").
2. Wird die IP-Adresse eines Mitbewerbers wegen dessen ungewöhnlich hoher Zugriffsfrequenz im Rahmen
einer Testmaßnahme zur Überprüfung eines Internetangebots ("Testkauf") durch ein
automatisches - auf verschiedenen, nicht starren oder "mitbewerberbezogenen" Kriterien basierendes - Schutzsystem
(Server-Firewall) gesperrt, fehlt es an einer Zielrichtung der Beeinträchtigung von wettbewerblichen
Entfaltungsmöglichkeiten des Mitbewerbers.
3. Nur das "virtuelle Hausverbot" gegenüber einem wettbewerbskonform handelnden Tester stellt sich regelmäßig als eine
verbotswidrige Behinderung dar (vgl. BGH GRUR 1966, 564 - Hausverbot I; BGH GRUR 1979, 859 - Hausverbot II;
GRUR 1981, 827 - Vertragswidriger Testkauf).
4. Testmaßnahmen dienen zwar grundsätzlich dem berechtigten Interesse des Unternehmers an der Verbesserung
des eigenen Informationsstandes oder der eigenen Beweisposition und sind insofern nur bei
Vorliegen besonderer Umstände unzulässig. Verhält sich die Testperson wie ein normaler Kunde (Kauf der fraglichen Ware
oder Inanspruchnahme der angebotenen Dienstleistung), so handelt sie dementsprechend nicht unlauter.
Eine unlautere Behinderung (§ 4 Nr. 10 UWG) durch sie liegt aber dann vor, wenn sich der Tester nicht mehr wie ein
normaler Kunde verhält, sondern den Betriebsablauf stört. Dies ist bei einem Internetangebot der Fall,
wenn die Testperson das gesamte Sortiment des Anbieters beobachtet und überprüft (hier sollten insgesamt 5000 Aufrufe
gemacht werden; ca. 650 entfielen auf ca. 2 Stunden und veranlassten die IP-Sperrung). Zwar behindert
die Testperson hierdurch nicht unbedingt andere Kunden, gleichwohl hat der getestete Mitbewerber ein berechtigtes
Interesse, seine Internetpräsenz vor sicherheitsrelevanten Störungen und Angriffen durch ein geeignetes System zu schützen.
Dies gilt umso mehr, wenn der Tester bei einer "normalfrequentierten" Recherche oder eine Nutzung des Angebots, die
auch ein normaler Kunde vornehmen würde, nicht mit seiner IP-Adresse von der Nutzung ausgeschlossen würde.
Bearbeiter: Thomas Gramespacher
Online seit: 07.01.2008
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1470
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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