Rechtsprechung
OLG München, Beschluss vom 16.10.2007 - 29 W 2325/07
Presserechtliche Warnschreiben - Zur urheberrechtlichen Schutzfähigkeit und zum grundrechtlichen Schutz anwaltlicher Schriftsätze (hier: presserechtliche Warnschreiben)
UrhG §§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 97 Abs. 1; GG Art. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Art. 12 Abs. 1
Leitsätze:*1. Auch Anwaltsschriftsätze sind als Schriftwerke grundsätzlich nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG dem Urheberrechtsschutz
zugänglich. Sie sind grundsätzlich dem (rechts-) wissenschaftlichen und nicht dem literarischen Bereich zuzuordnen.
Bei wissenschaftlichen Werken findet der erforderliche geistigschöpferische Gehalt seinen Niederschlag und Ausdruck
in erster Linie in der Form und Art der Sammlung, Einteilung und Anordnung des dargebotenen Stoffes und nicht
ohne weiteres auch - wie meist bei literarischen Werken - in der Gedankenformung und -führung des dargebotenen Inhalts.
Die Frage, ob ein Schriftwerk einen hinreichenden schöpferischen Eigentümlichkeitsgrad besitzt, bemisst sich dabei
nach dem geistigschöpferischen Gesamteindruck der konkreten Gestaltung, und zwar im Gesamtvergleich gegenüber
vorbestehenden Gestaltungen. Lassen sich nach Maßgabe des Gesamtvergleichs mit dem Vorbekannten schöpferische
Eigenheiten feststellen, so sind diese der durchschnittlichen Gestaltertätigkeit gegenüberzustellen. Die
Urheberrechtsschutzfähigkeit erfordert ein deutliches Überragen des Alltäglichen, des Handwerksmäßigen, der
mechanisch-technischen Aneinanderreihung des Materials (vgl. BGH GRUR 1986, 739 - Anwaltsschriftsatz m. w. N.).
2. Die Einhaltung der "formalen" (zwingenden) Anforderungen an ein presserechtliches Warnschreiben
(etwa: Herausarbeitung der wesentlichen Elemente des presserechtlich relevanten Sachverhalts, Hinweise auf Verstöße
gegen publizistische Grundsätze oder sonstige Rechtsvorschriften und die Folgen neuer Verstöße) stellt für sich genommen
keinen Umstand dar, der ein deutliches Überragen des Handwerklichen und eine schöpferische Leistung begründen könnte, wenn
ein solches Schreiben ohne die Einhaltung dieser Anforderungen seine Funktion nicht - vollständig - erfüllen könnte und
handwerklich misslungen wäre.
Keinesfalls kommt es für die urheberechtliche Beurteilung eines solchen Schreibens darauf an, dass die Kategorie des
presserechtlichen Warnschreibens nicht alltäglich sein mag.
3. Aus dem sowohl für die Berufsfreiheit als auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht geltenden Gebot der
Einzelfallabwägung ergibt sich, dass ein generelles Verbot, aus Schriftsätzen von Rechtsanwälten zu zitieren,
nicht in Betracht kommt (vgl. KG NJW-RR 2007, 842).
Bearbeiter: Thomas Gramespacher
Online seit: 20.11.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1427
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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