Rechtsprechung
OLG München, Urteil vom 10.05.2007 - 29 U 1638/06
Subito - Zur urheberrechtlichen Zulässigkeit eines - insbesondere elektronischen - Kopienversanddienstes - Der Versand von Kopien von Zeitschriftenbeiträgen in elektronischer Form verletzt das Vervielfältigungsrecht des Rechteinhabers.
UrhG §§ 15 Abs. 1, 17 Abs. 1, §§ 19a, 53 Abs. 2 Nr. 4 lit. a, 87a; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2
Leitsätze:*1. Gemäß § 87a Abs. 1 Satz 1 UrhG ist eine Datenbank eine Sammlung von Werken, Daten oder anderen unabhängigen
Elementen, die systematisch oder methodisch angeordnet und einzeln mit Hilfe elektronischer Mittel oder
auf andere Weise zugänglich sind; hinzu kommt das Erfordernis, dass deren Beschaffung, Überprüfung oder
Darstellung eine nach Art oder Umfang wesentliche Investition erfordert.
Der Begriff beschränkt sich nicht auf elektronische Datenbanken, sondern erfasst auch Datensammlungen, die auf
andere Weise - etwa in gedruckter Form - zusammengestellt sind (vgl. BGH, Beschl. vom 29. September 2006, Az. I ZR 261/03 -
Sächsischer Ausschreibungsdienst; BGH GRUR 2007, 137 - Bodenrichtwertsammlung). Eine Datenbank zeichnet sich
dadurch aus, dass sie mehr ist als die Summe ihres Inhalts.
2. Die periodische Veröffentlichung von Aufsätzen in Zeitschriften ist für sich genommen nicht mehr als eine
Sammlung, die zwar Informationen liefert, der es aber an einem Mittel zur Verarbeitung der einzelnen Elemente,
aus denen sie besteht, fehlt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Anordnung der Aufsätze keinem Strukturprinzip folgt,
sondern dem Zufall von Manuskripteingang und Dauer der redaktionellen Bearbeitung einschließlich des Peer-Review-Verfahrens.
Selbst wenn eine Zeitschrift in jedem ihrer Hefte nach einzelnen Untergebieten gegliedert sein sollte, erlaubte auch
diese Grobeinteilung noch nicht, einzelne Elemente auf einfache Weise zu finden (vgl. KG GRUR-RR 2001, 102 -
Stellenmarkt; vgl. auch OLG München GRUR-RR 2001, 228 f. - Übernahme fremder Inserate).
3. Allein in der thematischen Zuordnung eines Aufsatzes zu einem Untersachgebiet kann keine eigene persönliche geistige Schöpfung
i.S.d. § 2 Abs. 2 UrhG gesehen werden, die den Schutz einer Zeitschriftensammlung als Sammelwerk i.S.d § 4 Abs. 1 UrhG begründen
könnte.
4. Eine auf Grund der Auswahl oder Anordnung der Elemente gegebene persönliche geistige Schöpfung eines Sammelwerks
wird durch die Entnahme einzelner darin veröffentlichter Artikel nicht berührt, wenn die Entnahme
keinerlei Bezug zu Auswahl und Anordnung der Inhalte (hier Zeitschriften) hat, sondern unabhängig davon lediglich wegen
des eigenständigen Inhalts (hier: des betreffenden Aufsatzes) erfolgt.
5. Der Versand von Kopien von Zeitschriftenbeiträgen in elektronischer Form (per E-Mail, "FTP aktiv", d.h. der Upload auf einen
Server des Bestellers oder "FTP passiv", d.h. personalisierter Download durch den einzelnen Besteller), verletzt
das Vervielfältigungsrecht des Rechteinhabers aus § 15 Abs. 1 Nr. 1, § 16 UrhG. Der Versand per Post oder Telefax
kann allerdings gerechtfertigt sein.
6. Sowohl beim Versand in elektronischer Form als auch beim Versand per Post oder Telefax werden bereits im Inland
Vervielfältigungsstücke des Werkes hergestellt. Insbesondere werden beim elektronischen Versand nicht erst beim
Empfänger, sondern bereits beim Versender (hier: Bibliothek) im Inland Dateien angefertigt, die Vervielfältigungen des jeweiligen
Werkes (hier: Zeitschriften-Aufsatz) darstellen. Darin liegt ein Eingriff in das dem Rechteinhaber (hier: die jeweiligen Verlage)
eingeräumte Vervielfältigungsrecht gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1, § 16 UrhG. Diese Eingriffe waren nach dem bis zum Ablauf
des 12. September 2003 geltenden Urheberrecht insgesamt gerechtfertigt, sind es nach dem seitdem geltendenden Recht jedoch
nur, soweit ein Versand per Post oder Telefax erfolgt.
7. Bei der Anfertigung digitaler Vervielfältigungen (hier: Bilddateien) kann nicht von einem Verfahren mit ähnlicher Wirkung
wie der eines photomechanischen Verfahrens (Telefax, Kopie) gesprochen werden (§ 53 Abs. 1 UrhG).
8. Die im Rahmen des elektronischen Kopienversands angefertigten digitalen Kopien ermöglichen auch dann nicht ausschließlich analoge
Nutzungen (wie sie etwa die Regelung des § 53 Abs. 2 Satz 3, Satz 2 Nr. 2 UrhG für eine Privilegierung verlangt),
wenn sie als Grafikdateien erstellt werden. Solche Dateien können vom Empfänger anders als bei rein analogen Vorgängen ohne
jeden Qualitätsverlust kopiert und elektronisch an Dritte versandt werden. Selbst wenn sie nicht unter Anpassung der Formate
der in ihnen abgebildeten Texte in andere Textdateien eingefügt werden können, so besteht doch ohne weiteres die Möglichkeit,
sie als Grafikdatei einzufügen. All das sind aber Nutzungsmöglichkeiten, die rein digitaler Natur sind.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 15.07.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1295
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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