Rechtsprechung
LG Köln, Urteil vom 11.07.2007 - 28 O 263/07
spickmich.de - Die Bewertung von Lehrern auf einer Internet-Bewertungsplattform kann eine zulässige Meinungsäußerung darstellen. Die Veröffentlichung von Angaben zur Person eines Lehrers auf einer solchen Plattform ist zulässig, wenn die Daten aus allgemein zugänglichen Quellen stammen.
BGB §§ 823, 1004; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1; BDSG §§ 3, 4 Abs.1, 28 Abs. 1 Nr. 3, 29 Abs. 1 Nr. 2
Leitsätze:*1. Der Einzelne muss grundsätzlich Einschränkungen seines Rechts auf informelle Selbstbestimmung hinnehmen,
wenn und soweit dies von hinreichenden Gründen des Gemeinwohls getragen wird und bei einer Gesamtabwägung
zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze des Zumutbaren
noch gewahrt ist.
2. Eine Tatsachenbehauptung bezieht sich auf etwas Geschehenes oder einen gegenwärtigen Zustand und
steht deshalb grundsätzlich dem Beweis offen, d.h. ihre Wahrheit oder Unwahrheit ist grundsätzlich mit
den in der Prozessordnung vorgesehenen Beweismitteln überprüfbar. Werturteile sind demgegenüber durch Elemente
der Stellungnahme und des Dafürhaltens und Meines geprägt und deshalb dem Beweis nicht zugänglich. Hat
eine Äußerung in diesem Sinne sowohl einen tatsächlichen Gehalt als auch einen wertenden Charakter, hängt
ihre Einordnung in die eine oder andere Kategorie davon ab, ob der tatsächliche Gehalt der Äußerung so substanzarm
ist, dass er gegenüber der subjektiven Wertung in den Hintergrund tritt oder ob das nicht der Fall ist, d.h. ob
der in einem Werturteil enthaltene Tatsachenkern nur unbestimmt angedeutet istoder wenn sich das Werturteil
als zusammenfassender Ausdruck von Tatsachenbehauptungen darstellt (BGH, Urteil vom 09.11.1971 - Az. VI ZR 57/70, GRUR
1972, 435, 439).
3. Die Bewertung von Lehrern im Rahmen einer hierfür vorgehaltenen Internet-Bewertungsplattform kann ein Werturteil darstellen.
Die Frage, ob ein Lehrer als "sexy", "cool" oder "fair" usw. empfunden wird, hängt von dem persönlichen Verhältnis
des bewertenden Schülers zu seinem Lehrer ab. Ein ausreichend konkreter Tatsachenkern, der mit Mitteln des Beweises
überprüft werden könnte, ist in der Aussage nicht erkennbar. Eine solche Bewertung ist aber als Meinungsäußerung einzustufen.
4. Wegen seines die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik
eng auszulegen. Auch eine überzogene, ungerechte oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen
noch nicht zur Schmähung. Von einer solchen kann vielmehr nur dann die Rede sein, wenn bei der Äußerung nicht
mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung des Betroffenen im Vordergrund steht, der
jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll
(vgl. BGH in NJW 2002, 1192, m.w.N.).
5. Die Bewertung des Verhaltens und Auftretens eines Lehrers im Rahmen einer hierfür vorgehaltenen Internet-Bewertungsplattform
kann grundsätzlich nicht als bloße Diffamierung angesehen werden und entbehrt auch nicht von vorne herein des erforderlichen
Sachbezugs. Dies gilt jedenfalls soweit sich die jeweiligen Schüler setzen sich vorliegend mit dem Verhalten und Auftreten
der Lehrer auseinander setzen. Im Rahmen einer derartigen Bewertung dürfen auch einprägsame, starke Formulierungen (hier: "sexy"
oder "cool") verwendet werden. Vergleichbare Formulierungen wären zulässig, selbst wenn sie eine scharfe und ggf. abwertende Kritik
zum Inhalt haben und so mit übersteigerter Polemik vorgetragen werden: ob andere diese Kritik für "falsch" oder "ungerecht" halten,
ist nicht von Bedeutung.
6. Die Veröffentlichung von peronenbezogenen Daten, d.h. Angaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer Person
(§ 3 BDSG - z.B. Name, Beruf, Anschrift usw. - hier: einer Lehrerin), auf einer geschäftsmäßig betriebenen Internetseite
(§ 29 Abs. 1 BDSG) ohne Zustimmung des Betroffenen (§ 4 Abs. 1 BDSG) ist zulässig, wenn die betreffenden Daten aus
allgemein zugänglichen Quellen stammen.
7. Lässt es ein Betroffener (hier: eine Lehrerin) zu, dass Daten zu seiner Person in einem allgemein und jedermann zugänglichen
Medium (hier: der Internetseite einer Schule) veröffentlicht und vorgehalten werden, handelt es sich bei derartigen Daten um Daten
aus allgemein zugänglichen Quellen i.S.v. §§ 28 Abs. 1 Nr. 3, 29 Abs. 1 BDSG. Dann stellt aber die Veröffentlichung solcher Daten
auf einer geschäftsmäßig (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 BDSG) oder zu eigenen Zwecken (§ 28 Abs. 1 Nr. 3 BDSG) betriebenen
Internet-Bewertungsplattform kein Mehr an herausgegebener Information gegenüber der bereits erfolgten Veröffentlichung dar. Dies gilt jedenfalls, wenn es sich um persönliche, nicht aber besonders sensible Daten handelt und soweit die Veröffentlichung nicht in anderer
Weise ein schutzwürdiges Interesse des Betroffenen verletzt (hier verneint).
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 14.07.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1294
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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