Rechtsprechung
LArbG Baden-Württemberg, Urteil vom 07.07.2007 - 4 Sa 1/07
"Arbeitgebermobbing" - Ein wichtiger Grund, der an sich geeignet ist eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, kann darin liegen, dass ein Handelsvertreter in einem durch ihn betriebenen Internet-Forum die Einstellung beleidigender Beiträge bezüglich des Unternehmers duldet.
HGB § 89a Abs. 1
Leitsätze:*1. Gemäß § 89a Abs. 1 HGB kann das Vertragsverhältnis eines Handelsvertreters von jedem Teil aus
wichtigem Grunde ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Hiernach ist zunächst
zu prüfen, ob objektive Tatsachen vorliegen, die an sich geeignet sind, einen wichtigen
Grund im Sinne der Vorschrift darzustellen. Liegen solche Umstände vor, so ist des weiteren
zu prüfen, ob die Fortsetzung des Handelsvertreterverhältnisses auch nur bis zum Ablauf
der ordentlichen Kündigungsfrist für den Kündigenden unzumutbar ist (BGH, Urteil vom 07.07.1978 - Az. I ZR 126/76 -
BB 1978, 1882). Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann sich je nach Einzelfall
das Erfordernis einer vorherigen Abmahnung ergeben.
2. Betreibt ein Handelsvertreter ein Internet-Forum unter einem
Domain-Namen, der markenrechtliche Rechtspositionen des Unternehmers berührt, kann darin zwar ein
Pflichtverstoß des Handelsvertreters vorliegen. Dieser stellt aber in der Regel nur nach vorheriger erfolgloser Abmahnung
einen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar.
3. Äußert sich ein Handelsvertreter in ehrverletzender Weise in einem (hier: von ihm selbst betriebenen) Internet-Forum
über den Unternehmer, kann hierin ein wichtiger Grund liegen, der an sich eine außerordentliche Kündigung des
Handelsvertreterverhältnisses rechtfertigt. Äußerungen, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für
den Betroffenen bedeuten, stellen einen erheblichen Verstoß gegen die vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme dar
und können eine außerordentliche fristlose Kündigung an sich rechtfertigen. Dies gilt im Arbeitsrecht
(zuletzt BAG, Urteil vom 24.11.2005 - Az. 2 AZR 584/04 - NZA 2006, 650) wie im Handelsvertreterrecht in gleicher Weise.
4. Ein wichtiger Grund, der an sich geeignet ist eine außerordentliche Kündigung im Sinne des § 89a Abs. 1 HGB zu rechtfertigen,
kann auch darin liegen, dass ein Handelsvertreter in einem durch ihn betriebenen Internet-Forum die Einstellung beleidigender
Beiträge bezüglich des Unternehmers duldet. Dies gilt jedenfalls dann, wenn ihm die beleidigenden Beiträge
(positiv) bekannt waren (hier: durch die eigene Beteiligung an dem
entsprechenden Thread) und damit unter Zugrundelegung der in der Rechtsprechung herausgebildteten Grundsätze zur
(Mit-) Störerhaftung des Betreibers von Internet-(Meinungs-)Foren eine Verantwortlichkeit anzunehmen ist.
5. Im Rahmen der Interessenabwägung bei einer verhaltensbedingten Kündigung stellt der Grad des Verschuldens
ein wichtiges Abgrenzungskriterium dar. Schuldlose Pflichtverletzungen können nur ausnahmsweise einen wichtigen
Grund zur verhaltensbedingten Arbeitgeberkündigung darstellen (BAG, Urteil vom 21.01.1999 - Az. AZR 665/98 - AP BGB § 626 Nr. 151).
In diesem Zusammenhang ist auch auf die Rechtslage und den Stand der Rechtsprechung im Zeitpunkt des
maßgeblichen Verhaltens abzustellen (hier: Die Frage der Störerhaftung des Betreibers eines Internet-Forums in der
Rechtsprechung war noch nicht geklärt oder absehbar).
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 01.07.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1274
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
// Artikel gesammelt "frei Haus"? Hier den MIR-Newsletter abonnieren
BGH, Urteil vom 19.04.2018 - I ZR 244/16, MIR 2018, Dok. 032
Pay by Call-Verfahren - Der Telefonanschlussinhaber haftet nicht für die unautorisierte Nutzung seines Anschlusses durch Dritte
Bundesgerichtshof, MIR 2017, Dok. 017
Arzneimittelbestelldaten II - Die Verarbeitung von Arzneimittel-Bestelldaten ohne ausdrückliche Einwilligung gemäß Art. 9 Abs. 2 Buchst. a DSGVO stellt einen Verstoß gegen eine Marktverhaltensregelung gemäß § 3a UWG dar
BGH, Urteil vom 27.03.2025 - I ZR 223/19, MIR 2025, Dok. 027
BGH fragt nach - EuGH wird sich mit Fragen zur Haftung eines Sharehosting-Dienstes für urheberrechtsverletzende Inhalte beschäftigen
Bundesgerichtshof, MIR 2018, Dok. 041
Ordnungsmittelantrag gegen GmbH-Geschäftsführer - Ist allein das Organ einer juristischen Person Titelschuldner, sind etwaige Ordnungsmittel (allein) gegen das Organ festzusetzen
BGH, Beschluss vom 18.04.2024 - I ZB 55/23, MIR 2024, Dok. 047