Rechtsprechung
Hanseatisches OLG, Urteil vom 29.11.2006 - 5 U 99/06
"Echter russischer Wodka" - Zur Reichweite und zum Umfang der Unterlassungsverpflichtung und zum Umfang der Pflicht des Unterlassungsschuldners zur Einwirkung auf Dritte.
BGB §§ 133, 157, 276, 311 Abs. 1, 339
Leitsätze:*1. Die Reichweite der Unterlassungsverpflichtung und die danach geschuldeten Maßnahmen sind
im Wege der Auslegung der Erklärung unter Heranziehung aller maßgeblichen Umstände zu ermitteln.
Den Schuldner trifft bereits dann ein eigenes Verschulden, wenn er nicht unverzüglich nach
Kenntnis des Unterlassungstitels alle ihm zumutbaren Maßnahmen ergreift, um Zuwiderhandlung
zu vermeiden. Dazu gehört – je nach den Umständen des Einzelfalls – insbesondere eine eingehende
Belehrung und Überwachung der Mitarbeiter, Rückruf und gegebenenfalls Vernichtung von
Produkten/Werbematerial, jedenfalls solange sich dieses noch in dem tatsächlichen Einflussbereich des Verletzers
befindet, oder auch die Stornierung von Werbeanzeigen. Alle diese Maßnahmen müssen im Weiteren auch
kontrolliert werden. Die insoweit an das Verhalten des Schuldners bzw. die Möglichkeit einer Exkulpation
zu stellenden Anforderungen sind hoch. Beinhaltet das Unterlassungsversprechen auch die Erfüllung gewisser
Garantenpflichten, so ist der Schuldner zu positivem Handeln verpflichtet, um sicherzustellen,
dass die Störungsquelle nachhaltig beseitigt ist und auch in Zukunft keine weiteren Wettbewerbsverstöße
mehr vorkommen. Durch den Unterlassungstitel ist der Schuldner verpflichtet, zur Einhaltung der
Unterlassungspflicht alles in seiner Macht Stehende zu unternehmen. Er hat zur Durchsetzung seiner
Verpflichtung auch aktiv zu handeln, um etwa bereits bestehende Gefahrenlagen, die eine künftige
Verletzung befürchten ließen, sicher zu beseitigen (OLG Hamburg GRUR 1989, 150).
2. In diesem Umfang obliegt dem Schuldner auch die Einwirkung auf Dritte, soweit deren Handeln in
seinem Einflussbereich liegt und ihm wirtschaftlich zugute kommt. Ferner ist die Einhaltung des
Verbots ständig zu überwachen (OLG Hamburg, NJW-RR 1993, 1392; OLG Hamburg GRUR 1989, 150; OLG Hamburg WRP 1982, 687).
Der Schuldner kann sich nicht darauf berufen, dass der Wettbewerbsverstoß ohne sein Zutun erfolgt sei.
Maßgebend ist insoweit, ob der Schuldner mit Verstößen durch Dritte ernstlich rechnen muss und welche
rechtlichen und tatsächlichen Einflussmöglichkeiten der Schuldner auf den Dritten hat. Gegen diese
Verpflichtungen hat die Beklagte nachhaltig verstoßen.
3. Zu den insoweit dem Unterlassungsschuldner obliegenden Maßnahmen kann neben der Information
eines Alleinvertriebspartners auch eine unmissverständliche Instruktion des Einzel- bzw. Großhandels
und/oder eine – auf die Einhaltung zu überprüfende – Anweisung an einen Alleinvertriebspartner entsprechend vorzugehen, gehören.
Dies gilt umso mehr, wenn der Unterlassungsschuldner in der Vergangenheit sein Produkt - unter Verwendung
bestimmter Bezeichnungen oder Eigenschaften (hier: "echter russischer Wodka") massiv beworben und insoweit versucht hat,
eine Produktidentität bzw. -besonderheit herauszustellen und
die (mit der Unterlassungsverpflichtung) aufgegebene Veränderung (hier: Änderung des Etiketts auf dem Flaschenhals
bei gleich bleibender optischer Anmutung
von "echter russischer Wodka" in "russischer Wodka") zwar rechtlich überaus erheblich, gestalterisch jedoch eher
marginal ist, sodass eine derartige Veränderung zwar bei einer konkreten Kaufentscheidung des
Verbrauchers, hingegen bei der Vorbereitung von Werbekampagnen durch den Handel aber kaum auffällt,
wenn der Betrachter nicht für das dahinter stehende juristische Problem bereits sensibilisiert ist.
4. In Fällen, in denen maßgebliche Veränderungen an einer Ware oder einem Erzeugniss (oder einer Dienstleistung) vorgenommen
werden, sind die angesprochenen Verkehrskreise daran gewöhnt, dass diese Änderungen von dem Hersteller des Produkts unzweifelhaft gegenüber der Öffentlichkeit kommuniziert werden.
Dementsprechend liegt es für Zwischenhändler nahe, zur Werbung vorhandenes Material weiter zu verwenden, so lange der Hersteller nichts darüber verlauten lässt, dass eine Produktveränderung bzw. eine Änderung der Produktverpackung eine
Aktualisierung erforderlich macht.
5. Erhält der Unternehmer Kenntnis davon, dass ein Dritter für ihn bzw. seine Produkte unzulässig wirbt,
so ist es ihm grundsätzlich auch zuzumuten, den ihm zustehenden Unterlassungsanspruch geltend zu machen
und das ihn begünstigende rechtsverletzende Verhalten zu unterbinden. Tut er dies nicht, so haftet er wie
für eigenes Verschulden und setzt durch seine Untätigkeit Erstbegehungsgefahr für einen eigenen Verstoß
(OLG Hamburg MD 2002, 384 ff. – Industrieentfeuchter).
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 17.06.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1258
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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