Rechtsprechung
OLG Hamm, Urteil vom 15.08.2006 - Az. 4 U 78/06
Es genügt nicht für eine Einwilligung in Werbeanrufe, dass der Verbraucher gegenüber dem Markteilnehmer in einem ("versteckten") Punkt von vorformulierten Auftragsbedingungen erklärt hat, er sei damit einverstanden über weitere interessante Angebot informiert zu werden. Zu den Anforderungen an eine (konkludente) Einwilligung in Werbeanrufe.
UWG § 7 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 1. Alt, § 8 Abs. 2; BGB § 307 Abs. 1 Satz 2
Leitsätze:*1. Nach § 7 Abs. 1 UWG handelt ein Markteilnehmer unlauter, wenn er mit Telefonwerbung für seine
Dienstleistungen einen anderen Markteilnehmer unzumutbar belästigt hat. Eine solche unzumutbare
Belästigung liegt nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 1 Alt. UWG vor, wenn gegenüber Verbrauchern mit Telefonanrufen ohne deren
Einwilligung geworben wird.
2. Der Marktteilnehmer (Unternehmer) haftet nach § 8 Abs. 2 UWG nicht nur für die eigenen Werbemaßnahmen, sondern auch für die Telefonwerbung
von Beauftragten im Sinne der Vorschrift. Als Beaufragte kommen insoweit insbesondere die auf Rechnung des Unternehmers
Werbung für dessen Dienstleistungen betreibenden als auch die auf Grund eines anderen vertraglichen
Verhältnisses im Interesse und für den betreffenden Markteilnehmer tätigen Unternehmen in Betracht, soweit deren geschäftliche
Erfolge auch dem Marktteilnehmer zugute kommen.
3. Ob eine konkludente Einwilligung des Verbrauchers in einen Werbeanruf vorliegt und welchen Umfang sie hat, ist durch Auslegung
nach den allgemeinen Grundsätzen zu ermitteln. Es kommt dabei darauf an, ob aus der objektiven
Sicht des Anrufers bei verständiger Würdigung des Verhaltens des Anzurufenden auf eine tatsächliche Einwilligung geschlossen
werden kann, weil eine mutmaßliche Einwilligung hier gerade nicht genügt (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt UWG). Dem Anrufer muss deshalb
eine Erklärung des Anzurufenden vorliegen, aus der er schließen darf, dieser sei mit dem Anruf zu dem betreffenden Zweck einverstanden.
4. Es genügt nicht für eine Einwilligung in Werbeanrufe, dass der Verbraucher gegenüber dem Markteilnehmer in einem Punkt von vorformulierten
Auftragsbedingungen erklärt hat, er sei damit einverstanden über weitere interessante Angebote informiert zu werden.
5. Eine Einwilligung in Werbeanrufe, die an versteckter Stelle, mitten in einem vorformulierten Text untergebracht ist, verstößt
gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Einer solchen Erklärung lässt sich aus objektiver Sicht nicht entnehmen,
der Angerufenen sei auch mit der Werbung für andere Vertragschlüsse mit Drittanbietern einverstanden. Vielmehr wird der Verbraucher
unangemessen benachteiligt, wenn sich die vorformulierte Erklärung erkennbar nicht nur auf Werbung im Rahmen des angebahnten oder
bestehenden Vertragsverhältnisses beschränkt. Denn es wird dann für den Verbraucher angesichts des bestehenden Adressenhandels unüberschaubar,
wer auf sich auf ein solches Einverständnis berufen könnte.
6. Schon die wegen des damit verbundenen Eingriffs in die Privatsphäre unzulässige Belästigung von Verbrauchern durch einen
Kaltanruf ist geeignet, den Wettbewerb zu deren Nachteil nicht nur unerheblich zu beeinträchtigen. Hinzu kommt der Nachahmungseffekt, der
zu einem nicht unerheblichen Nachteil für den gesetzestreuen Mitbewerber führt, der sich solcher Werbemethoden nicht bedient.
MIR 2006, Dok. 153
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 11.09.2006
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/370
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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