Rechtsprechung
OLG Köln, Urteil vom 11.07.2006 - Az. 15 U 30/06
Eine gewisse öffentliche Anerkennung einer Institution (hier des Deutschen Presserats) und der Umstand, dass deren Maßnahmen ein Gewicht beigemessen wird, rechtfertigt eine Herabsetzung der Anforderungen, die an die Annahme einer - durch eine Erklärung oder Äußerung hervorgerufenen - rechtswidrigen Rechtsverletzung zu stellen sind, nicht.
Leitsätze:
GG Art. 5, Art. 9; BGB §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 Satz 2
1. Die veröffentlichte Erklärung, ein Presseorgan (hier ein Verlag) habe mit der Veröffentlichung eines Artikels gegen ihre
journalistischen Sorgfaltspflichten verstoßen, berührt das betreffende Presseorgang in seinen Rechten aus § 823 Abs. 1 BGB.
Die Veröffentlichung einer derartigen Erklärung und die sich anschließende Folgeberichterstattung anderer Institutionen und
Personen sind geeignet, das betroffene Presseorgan in seinem gewerblichen Fortkommen zu beeinträchtigen.
2. Bei Werturteilen geht der Persönlichkeitsschutz, zu dem auch der Unternehmenspersönlichkeitsschutz und das Recht am eingerichteten
und ausgeübten Gewerbebetrieb zu zählen sind, regelmäßig der Meinungsfreiheit vor, wenn die Äußerung sich als Schmähkritik oder als
Formalbeleidigung darstellt. Bei Tatsachenbehauptungen hängt die Abwägung grundsätzlich vom Wahrheitsgehalt ab. Wahre Aussagen müssen
in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre dagegen nicht.
3. Von einer Tatsachenbehauptung ist auszugehen, wenn der Inhalt der Äußerung nach dem Verständnis des Durchschnittsadressaten als etwas
Geschehenes dem zivilprozessualen Beweis zugänglich ist. Eine Meinungsäußerung wird dadurch gekennzeichnet, dass ein Zustand oder ein
Vorgang an einem vom Kritiker gewählten Maßstab gemessen wird und dieser durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens
oder Meinens geprägt ist.
4. Die Erklärung, der Verleger einer Zeitschrift verstoße gegen seine journalistische Sorgfaltspflicht, ist als Werturteil ohne
Tatsachenkern zu bewerten. Das gilt auch bezüglich der Annahme, es liege ein Verstoß gegen den Pressekodex vor. Insoweit handelt es sich
um eine Bewertung bzw. Auslegung des Pressekodexes (eine Ansicht).
5. Eine gewisse öffentliche Anerkennung einer Institution (hier des Deutschen Presserats) und der Umstand, dass deren Maßnahmen ein Gewicht
beigemessen wird, rechtfertigt eine Herabsetzung der Anforderungen, die an die Annahme einer - durch eine Erklärung oder Äußerung hervorgerufenen -
rechtswidrigen Rechtsverletzung zu stellen sind, nicht.
6. Die Maßnahmen des Presserats knüpfen lediglich an presseethische, ideelle, Gesichtspunkte an und haben lediglich Appellcharakter.
Die Bezeichnung mit dem Wortbestandteil "-rat" vermag darüber hinaus auch bei der verständigen Leserschaft nicht den Eindruck zu erwecken, als
werden hoheitliche Befugnisse ausgebübt und es werde ein Alleingeltungsanspruch erhoben.
MIR 2006, Dok. 118
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 06.08.2006
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/333
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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