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Kurz notiert // Telemedienrecht



Bundesgerichtshof

DNS-Sperre - Rechteinhaber müssen vor der Geltendmachung eines Anspruchs nach § 7 Abs. 4 TMG auf Einrichtung von Websperren zumutbare Maßnahmen ergreifen

BGH, Urteil vom 13.10.2022 - I ZR 111/21 - DNS-Sperre; Vorinstanzen: LG München I, 25.10.2019 - 21 O 15007/18, OLG München, 27.05.2021 - 29 U 6933/19

MIR 2022, Dok. 078, Rz. 1


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Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 13.10.2022 (I ZR 111/21 - DNS-Sperre) entschieden, unter welchen Voraussetzungen Rechtsinhaber von Internetzugangsanbietern nach § 7 Abs. 4 TMG die Sperrung des Zugangs zu Internetseiten beanspruchen können. Insbesondere hatte ich das Gericht mit der Frage zu befassen, wann der Rechteinhaber "keine andere Möglichkeit" mehr hat (§ 7 Abs. 4 Satz 1 TMG, der Verletzung seiner Rechte abzuhelfen.

Zur Sache:

Die Beklagte ist ein Telekommunikationsunternehmen. Die Klägerinnen sind Wissenschaftsverlage. Sie verlangen von der Beklagten, dass diese den Zugang zu den Internetseiten von zwei Internetdiensten sperrt, auf denen - nach Darstellung der Klägerinnen - wissenschaftliche Artikel und Bücher bereitgehalten werden, an denen ihnen die ausschließlichen Nutzungsrechte zustehen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen, da die Klägerinnen entgegen § 7 Abs. 4 TMG nicht die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft hätten, der Verletzung ihrer Rechte abzuhelfen. Es sei ihnen zumutbar gewesen, vor Inanspruchnahme der Beklagten den in der Europäischen Union (Schweden) ansässigen Host-Provider der beiden Internetdienste gerichtlich auf Auskunft in Anspruch zu nehmen, um anschließend mit den erlangten Informationen gegen die Betreiber der Internetdienste vorzugehen.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Die Beurteilung des Berufungsgerichts halte der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand, so der Bundesgerichtshof.

Zumutbare Anstrengungen zur Inanspruchnahme der an der Rechtsverletzung Beteiligten gescheitert oder ohne Erfolgsaussicht

Für den Rechtsinhaber bestehe dann im Sinne des § 7 Abs. 4 Satz 1 TMG keine andere Möglichkeit, der Verletzung seines Rechts abzuhelfen, wenn zumutbare Anstrengungen zur Inanspruchnahme der Beteiligten, die die Rechtsverletzung selbst begangen oder zu ihr durch die Erbringung von Dienstleistungen beigetragen haben, gescheitert sind oder ihnen jede Erfolgsaussicht fehlt. Der Access-Provider, der lediglich allgemein den Zugang zum Internet vermittelt, hafte nur subsidiär gegenüber denjenigen Beteiligten, die (wie der Betreiber der Internetseite) die Rechtsverletzung selbst begangen oder (wie der Host-Provider) zur Rechtsverletzung durch die Erbringung von Dienstleistungen beigetragen haben und daher wesentlich näher an der Rechtsgutsverletzung sind.

DNS-Sperre kommt als Maßnahme in Betracht

Als Maßnahme der Sperrung komme die von den Klägerinnen begehrte DNS(Domain-Name-System)-Sperre in Betracht. Mit dieser werde die Zuordnung zwischen dem in die Browserzeile eingegebenen Domainnamen und der IP-Adresse des Internetdiensts auf dem DNS-Server des Access-Providers verhindert, so dass der Domainname nicht mehr zur entsprechenden Internetseite führt, die allerdings unter ihrer IP-Adresse weiterhin erreichbar ist.

Zumutbarkeit Frage des Einzelfalles: Nachforschungen, außergerichtliche Inanspruchnahme, zeitliche Verzögerung, Erfolgsaussichten

Welche Anstrengungen zur Inanspruchnahme des Betreibers der Internetseite und des Host-Providers zumutbar sind, sei eine Frage des Einzelfalls. Der Rechtsinhaber sei in zumutbarem Umfang dazu verpflichtet, Nachforschungen zur Ermittlung der vorrangig in Anspruch zu nehmenden Beteiligten anzustellen. Die außergerichtliche Inanspruchnahme eines bekannten Betreibers der Internetseite oder Host-Providers auf Entfernung der urheberrechtsverletzenden Inhalte sei dem Rechtsinhaber im Regelfall ebenfalls zumutbar. Mit Blick auf eine gerichtliche Durchsetzung von Unterlassungs- und Auskunftsansprüchen sei allerdings in besonderem Maß zu berücksichtigen, dass dem Rechtsinhaber keine Maßnahmen auferlegt werden dürfen, die zu einer unzumutbaren zeitlichen Verzögerung seiner Anspruchsdurchsetzung führen. Ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen innerhalb der Europäischen Union ansässige Betreiber oder Host-Provider habe der Rechtsinhaber jedoch grundsätzlich anzustrengen. Grundsätzlich zumutbare Anstrengungen könnten im Einzelfall unterbleiben, wenn ihnen aus vom Anspruchsteller darzulegenden Gründen jede Erfolgsaussicht fehlt.

Nach diesen Maßstäben sei die Beurteilung des Berufungsgerichts, es wäre den Klägerinnen zumutbar gewesen, vor der Inanspruchnahme der Beklagten den Host-Provider der betroffenen Internetdienste in Schweden gerichtlich auf Auskunft in Anspruch zu nehmen, nicht frei von Rechtsfehlern. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zur Rechtslage in Schweden lasse offen, ob den Klägerinnen in Schweden ein Rechtsbehelf des einstweiligen Rechtsschutzes für die Geltendmachung eines Anspruchs auf Drittauskunft gegen den dort ansässigen Host-Provider zur Verfügung gestanden hätte.

Das Berufungsurteil erweise sich jedoch aus anderen Gründen als richtig. Von den Klägerinnen sei jedenfalls der Versuch zu verlangen, vor einem deutschen Gericht im Wege der einstweiligen Verfügung einen Auskunftsanspruch gegen den schwedischen Host-Provider geltend zu machen. Es bestehe kein Anlass zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die Klägerinnen habe umfassend zu den von ihnen ergriffenen Maßnahmen vorgetragen. Der Grundsatz des fairen Verfahrens gebiete es nicht, den Klägerinnen durch eine Zurückverweisung die Möglichkeit zu verschaffen, bisher unterbliebene Ermittlungsmaßnahmen erst noch zu veranlassen.

(tg) - Quelle: PM Nr. 145/2022 des BGH vom 13.10.2022

Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 13.10.2022
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3221
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