Rechtsprechung // Wettbewerbsrecht
BGH, Urteil vom 15.12.2016 - I ZR 241/15
Entertain - Zum Anfall eines erstinstanzlich vorgetragenen aber nicht berücksichtigten Irreführungsaspekts in der Berufungsinstanz und den wesentlichen Informationen im Sinne von § 5a Abs. 2 UWG bei einer Werbung für Internetfernsehen
UWG § 5 Abs. 1 Satz 2, § 5a Abs. 2
Leitsätze:*1. Legt der Beklagte gegen ein Urteil, das einer im Wege objektiver Klagehäufung auf zwei Klagegründe gestützten Klage aus einem der Gründe stattgegeben hat, ein zulässiges Rechtsmittel ein, so fällt auch der nicht beschiedene Klagegrund der Rechtsmittelinstanz an (BGH, Urteil vom 24.09.1991 - XI ZR 245/90). Dieser Gedanke ist auf die Geltendmachung mehrerer Irreführungsaspekte innerhalb eines einheitlichen Streitgegenstandes übertragbar, der durch die in Bezug genommene konkrete Verletzungsform bestimmt wird (vgl. BGH, Urteil vom 13.09.2012 - I ZR 230/11 - Biomineralwasser).
2. Stützt das erstinstanzliche Gericht seine Verurteilung zur Unterlassung auf einen von mehreren Irreführungsaspekten, die mit einem einheitlichen, auf eine konkrete Verletzungsform bezogenen Klageantrag geltend gemacht werden, so fällt auch der erstinstanzlich nicht berücksichtigte Irreführungsaspekt in der Berufungsinstanz an.
3. Eine Gehörsverletzung ist schon dann entscheidungserheblich, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (vgl. BGH, Urteil vom 20.09.2010 - II ZR 296/08; BGH, Beschluss vom 19.01.2012 - V ZR 141/11; BGH, Beschluss vom 11.04.2013 - I ZR 160/12).
4. Die Angabe bestimmter Vorzüge beinhaltet nicht zugleich die Behauptung, nicht genannte Nachteile existierten nicht. Es besteht keine Pflicht des Werbenden, der sich nur mit seiner eigenen Ware befasst, auf Nachteile seines Produkts hinzuweisen (BGH, Urteil vom 29.11.1.1963 - Ib ZR 71/62 - Grobdesin).
5. Eine Information ist wesentlich im Sinne des § 5a Abs. 2 UWG, wenn ihre Angabe unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen vom Unternehmer erwartet werden kann und ihr für die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers ein erhebliches Gewicht zukommt (vgl. BGH, Urteil vom 16.05.2012 - I ZR 74/11 - Zweigstellenbriefbogen; BGH, Urteil vom 21.07.2016 - I ZR 26/15 - LGA tested). "Wesentliche Merkmale der Ware oder Dienstleistung" im Sinne des § 5a Abs. 3 Nr. 1 UWG sind Eigenschaften des Produkts, hinsichtlich derer ein Durchschnittsverbraucher eine Information billigerweise erwarten darf, um eine informierte Entscheidung treffen zu können (hier: Angabe, dass im Rahmen des internetbasierten Fernsehempfangs mittels des Angebots "Entertain" der Telekom nur der Anschluss eines Fernsehers möglich ist und die insoweit in Rede stehende Information die abweichende Nutzbarkeit und Wirtschaftlichkeit des beworbenen Angebots vom bisher Gewohnten (unbegrenzte Anzahl von Empfangsgeräten bei gleichbleibendem Preis bei Kabel- bzw. Antennenanschluss) betrifft und es insofern nicht fernliegend erscheint, dass der Verbraucher die Anschlussmöglichkeit für mehrere Empfangsgeräte erwartet).
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 30.01.2017
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2802
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
// Artikel gesammelt "frei Haus"? Hier den MIR-Newsletter abonnieren
BGH, Beschluss vom 27.01.2022 - III ZR 195/20, MIR 2022, Dok. 021
Triumph - Keine Irreführung wegen Hinweis auf die fehlende Lizenz im Angebot für ein Retro-Blechschild
OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 10.10.2022 - 6 W 61/22, MIR 2022, Dok. 084
Filesharing - Sekundäre Darlegungslast kann die namentliche Benennung des Familienmitglieds umfassen, das die Rechtsverletzung begangen hat
Bundesgerichtshof, MIR 2017, Dok. 015
Ballaststoffreich - Zum Vorliegen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses zwischen einem Bio-Bauer und dem Betreiber eines Online-Shop im Hinblick auf das Angebot von Müslimischungen und Zutaten
OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 11.11.2021 - 6 U 81/21, MIR 2021, Dok. 099
Museumsfotos - Fotografien von (gemeinfreien) Gemälden oder anderen zweidimensionalen Werken unterfallen regelmäßig dem Lichtbildschutz nach § 72 UrhG
BGH, Urteil vom 20.12.2018 - I ZR 104/17, MIR 2019, Dok. 005