Rechtsprechung
LG Hamburg
Urteil vom 2.12.2005 - Az. 324 O 721/05 ("Heise Urteil", Verantwortlichkeit für Inhalte bei - unternehmerischen - pressemäßigem Betrieb von Internetforen. Haftung von Forenbetreibern für rechtswidrige Inhalte. Zu den Grenzen der Verantwortlichkeit und der Zumutbarkeit von Prüfungspflichten des Betreibers. §§ 823, 1004 BGB analog, MDStV, TDG, Art. 5 GG)
Leitsätze (tg):
1. Derjenige, der Einrichtungen unterhält, über die Inhalte in pressemäßiger Weise verbreitet werden, muss Vorkehrungen treffen, dass
über diese Einrichtungen keine rechtswidrigen Inhalte verbreitet werden. Das gilt auch für Unternehmen, die Inhalte über das Internet verbreiten.
2. Die im Mediendienstestaatsvertrag oder im Teledienstgesetz vorgesehenen Haftungsprivilegien für Internetauftritte gelten nicht für die
Verantwortlichkeit des zur Unterlassung verpflichteten Störers nach §§ 823, 1004 BGB analog.
3. Die Grenze der Verantworlichkeit kann sich in besonderen Fallkonstellationen daraus ergeben, dass eine Kontrolle der verbreiteten Inhalte dem
Anbieter nicht zumutbar ist.
4. Insbesondere dann, wenn der Verleger die Rechtswidrigkeit von, in seinem Publikationsorgan durch Dritte veröffentlichten, Inhalten trotz Kenntnis
dieser nur schwerlich erkennen kann, weil es dazu der Kenntnis weiterer Vorgänge bedarf, kann die Verantwortlichkeit entfallen.
5. Eine Einschränkung der Verantwortlichkeit des Betreibers ergibt sich noch nicht daraus, dass Inhalte in zahlenmäßig umfangreicher Art und Weise
über ein Internetforum verbreitet werden. Liegt insoweit eine pressemäßige Verbreitung vor, ist es grundsätzlich erforderlich auch Äußerungen Dritter
zu prüfen oder durch einen verantwortlichen Mitarbeiter prüfen zu lassen.
6. Wer Internetforen im unternehmerischen Betrieb bereithält, die in großer Zahl Einträge über Internetforen verbreiten, muss sein Unternehmen so
einrichten, dass mit den sachlichen und personellen Ressourcen gewährleistet ist, diesen Geschäftsbetrieb zu beherrschen.
7. Allein die Anzahl der verbreiteten Einträge muss noch keinen Grund dafür abgeben, den Verbreiter von seiner Verantwortlichkeit zu befreien.
8. Die Einschränkung der Verantwortlichkeit für denjenigen, der Äußerungen oder Angebote über das Internet verbreitet, kommt jedenfalls dann nicht in
Betracht, wenn der Anbieter - aufgrund der Art seines Angebots - selbst Anlass zu der Annahme haben muss, dass das Angebot von Nutzern zu Zwecken der
Verletzung von Rechten Dritter gebraucht wird. Jedenfalls dann, wenn der Anbieter damit rechnen muss, dass das von ihm, den Nutzern zur Verfügung
gestellte Angebot missbraucht wird, muss der Anbieter wirksame Vorkehrungen treffen, um einen solchen Missbrauch zu vermeiden (hier: durch
Prüfung eingehender Beträge vor Freischaltung)
9. Das Recht zur freien Meinungsäußerung findet seine Grenzen jedenfalls da, wo Rechte anderer in einbem Ausmaß betroffen werden, dass der Durchsetzung
des eigenen Standpunktes - oder des Standpunktes desjenigen, dessen Ansichten verbreitet werden - nicht mehr adäquat ist.
MIR 2006, Dok. 049
Empfohlen zur Lektüre sei an dieser Stelle auch eine Einschätzung des Urteils von Herrn RA Dr. Bahr (Hamburg). Abzufrufen unter: www.dr-bahr.com/haftung-fuer-foreneintraege-auswirkungen-des-heise-urteils.html
Lesenswert weiterhin eine Stellungnahme von dem Informationsrechtler Sascha Kremer, abzurufen unter: http://weblawg.saschakremer.de
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 15.04.2006
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/264
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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