Rechtsprechung
OLG Hamm, Urteil vom 10.06.2008 - 4 U 37/08
Virtuelles Hausverbot durch automatische IP-Sperre grundsätzlich zulässig - Eine automatische IP-Sperre, die sich nicht zielgerichtet und manuell eingerichtet gegen einen Wettbewerber richtet, sondern über eine entsprechende Sicherheitssoftware ausgelöst wird (hier: wegen Anzahl und Struktur der Seitenaufrufe) ist wettbewerbsrechtlich grundsätzlich zulässig.
UWG §§ 3, 4 Nr. 10, 8 Abs. 1
Leitsätze:*1. Eine automatische IP-Sperre, die sich nicht zielgerichtet und manuell eingerichtet gegen einen
Wettbewerber richtet, sondern über eine entsprechende Sicherheitssoftware ausgelöst wird (hier:
wegen Anzahl und Struktur der Seitenaufrufe) ist wettbewerbsrechtlich grundsätzlich zulässig.
2. Ein Gewerbetreibender, der sich mit seinem Angebot via Internet an die Öffentlichkeit wendet, hat Testmaßnahmen
im Interesse der Allgemeinheit sowie der betroffenen Mitbewerber grundsätzlich zu dulden. Mitbewerber
haben insoweit das Recht, sich auf deren Internetseite zur Durchführung von Tests zu bewegen, soweit sie sich wie normale Nachfrager/Kunden
verhalten (BGH GRUR 1991, 843, 844 - Testfotos I). Verhält sich der Tester merklich anders als normale Kunden und
ist hiermit die Gefahr einer Betriebsstörung verbunden, darf sich der getestete Unternehmer hiergegen
zu Wehr setzen (vgl. BGH GRUR 1979, 859, 860 - Hausverbot II).
3. Hierbei rechtfertigt allein die Anzahl an Seitenaufrufen nicht, einem Tester ein anormales
Nachfrageverhalten (Nutzungsverhalten) vorzuwerfen. Werden allerdings 652 Aufrufe innerhalb von ca. 2 Stunden
und damit in einer durchschnittlichen Frequenz von 11 Sekunden getätigt, entspricht dies nicht mehr
dem normalen Kundenverhalten. Eine solch immense Anzahl an Seitenaufrufen innerhalb solch kurzer
Aufruffrequenzen über einen derart langen Zeitraum stellt eine atypische Aufrufstruktur dar, die einem
gewöhnlichen Abnehmer nicht entspricht.
4. Im Rahmen von § 4 Nr. 10 UWG ist nicht erforderlich, dass eine Betriebsstörung tatsächlich eingetreten ist.
Vielmehr reicht die Gefahr der Verursachung einer Betriebsstörung aus (vgl. BGH NJW-RR 1997, 104, 105 - Testfotos II).
5. Der Anbieter einer (geschäftlichen) Website hat grundsätzlich ein berechtigtes Interesse an deren Schutz vor
sicherheitsrelevanten Störungen und Angriffen. Ihm kann daher nicht verwehrt werden, eine geeignete
Sicherheitssoftware gegen solche Sicherheitsrisiken zu installieren. Es ist ihm insoweit insbesondere nicht
zumutbar, es bei einem "verdächtigen" Zugriff erst zu einer tatsächlichen Störung kommen zu lassen. Es reicht aus,
dass sich die auslösenden Parameter (hier: Anzahl und Struktur der Seitenzugriffe) für das betreffende System so
darstellen, als drohe eine erhebliche Betriebsstörung (vgl. dazu OLG Hamburg, Urteil vom 18.04.2007 -
Az. 5 U 190/06 =
MIR 2007, Dok. 294). In welchem Umfang und mit welcher Sensibilität der Anbieter - ohne dies konkret auf
bestimmte Wettbewerber zu beziehen - seine Internetseite vor potentiellen Störungen und Angriffen schützt, bleibt
ihm überlassen.
Bearbeiter: RA Thomas Gramespacher
Online seit: 25.11.2008
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1812
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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