Rechtsprechung
OLG Köln, Urteil vom 12.09.2007 - 6 U 63/07
"Verlosung von WM Tickets" - Die Koppelung einer Gewinnspielteilnahme mit der Einverständniserklärung in eine Datenweitergabe (aleatorischer Anreiz) kann wettbewerbswidrig sein.
TMG § 12; UWG § 4 Nr. 1, 5 und 6, § 7 Abs. 2; UKlaG § 4
Leitsätze:*1. Ein Klageantrag, mit dem mit einer Verlosung (hier: von Eintrittskarten für die FIFA WM 2006) verbundene Umstände als
wettbewerbswidrig beanstandet werden, ist - auch wenn der Antrag ausdrücklich nur auf
ein nicht wiederholbares sportliches Großereignis (hier: FIFA WM 2006) Bezug nimmt - regelmäßig dahingehend
auszulegen, dass das beschriebene Verhalten "wie" bei dem bezeichneten Ereignis beanstandet wird.
2. Nach der "Kerntheorie" fällt in den Verbotsbereich eines Unterlassungstitels von vornherein nicht
nur die identische Wiederholung des untersagten konkreten Verhaltens, sondern es werden auch solche
Handlungen erfasst, die nur unbedeutend von der verbotenen Form abweichen und den Kern des gerichtlichen
Verbots unberührt lassen, wenn sich nur das Charakteristische des verbotenen Verhaltens in der im anschließenden
Vollstreckungsverfahren beanstandeten Handlung wieder findet (BGHZ 126, 287, 295 = GRUR 1994, 844 – Rotes Kreuz;
BGH, GRUR 2006, 421, 422 – Markenparfümverkäufe). Auch eine vertragliche Unterlassungserklärung, die
ihrem Wortlaut nach allein auf ein konkretes Verhalten bzw. einen konkreten Umstand (hier: ein Gewinnspiel)
Bezug nimmt, das im Zeitpunkt der Abmahnung und Unterwerfung bereits abgeschlossen war und nicht wiederholt
werden kann, erfasst danach alle Verhaltensweisen, die für das beanstandete Gewinnspiel charakteristisch
sind und seine Wettbewerbswidrigkeit begründen (BGH, GRUR 1996, 290, 291 – Wegfall der Wiederholungsgefahr I).
Nichts anderes gilt, wenn eine konkrete Werbung durch unmittelbare Bezugnahme mit dem Vergleichspartikel "wie"
zum Gegenstand des Klageantrags gemacht worden ist, wobei die Hinzufügung abstrakt formulierter Merkmale
möglich ist, aber lediglich dazu dient, den Kreis der Varianten näher zu bestimmen, die von dem Verbot als
kerngleiche Verletzungsformen erfasst sein sollen (BGH, GRUR 2006, 164, 165 – Aktivierungskosten II).
3. Nach der "Kerntheorie" kommt es nicht darauf an, ob einzelne Handlungselemente des beanstandeten Verhaltens einmalig
und unwiederholbar sind, solange in Zukunft weitere im Kern gleichartige Verstöße zu erwarten sind. Anders liegt es nur, wenn
mit dem Ende der rechtsverletzenden Handlung auch jede Wahrscheinlichkeit für eine Wiederaufnahme ähnlicher Tätigkeiten
durch den Verletzer beseitigt ist (BGH, GRUR 1992, 318, 319 - Jubiläumsverkauf; hier verneint).
4. Gewinnverlosungen sind wettbewerbsrechtlich grundsätzlich zulässig. Besondere Umstände, die ihre Unlauterkeit
begründen, können aber nicht nur auf Grund der Sondertatbestände einer Koppelung der Teilnahme mit dem Warenabsatz
(§ 4 Nr. 6 UWG) und einer Intransparenz der Teilnahmebedingungen (§ 4 Nr. 5 UWG) oder bei Irreführung des Publikums
über die Gewinnchancen (§ 5 UWG), sondern auch in einem unangemessenen Einwirken auf die Entscheidungsfreiheit des
Verbrauchers – wie beim psychischen Kaufzwang oder beim übertriebenen Anlocken – bestehen
(BGH, GRUR 1998, 735, 736 – Rubbelaktion; GRUR 2000, 820, 821 –Space Fidelity Peep-Show; GRUR 2002, 1003, 1004 –
Gewinnspiel im Radio; GRUR 2002, 976, 978 – Koppelungsangebot I).
5. Wird die Teilnahme des Verbrauchers an einer Verlosung an seine Erklärung gekoppelt, mit der Weitergabe der Vertragsdaten
aus seinen Verträgen mit dem Anbieter oder seinen Schwesterunternehmen und mit der Übermittlung von Werbesendungen
oder mit Werbeanrufen einverstanden zu sein, wird der Verbraucher mittels eines aleatorischen Anreizes - also durch
ein sachfremdes Motiv - dazu bewegt, einen Teil seiner durch § 12 Abs. 1 und 2 TMG und § 7 Abs. 2 Nr. 2 und 3 UWG
ausdrücklich geschützten Privatsphäre preiszugeben.
6. Eine Koppelung zwischen Gewinnspielteilnahme und Einwilligungserklärung stellt jedenfalls dann eine
unangemessene unsachliche, die freie Willensbildung der angesprochenen Verbraucher beeinträchtigende
Einflussnahme i.S.d § 4 Nr. 1 UWG dar, wenn diese Abhängigkeit der Teilnahme an dem Gewinnspiel von der Einwilligung
dem Verbraucher erst erkennbar gemacht wird, wenn er sich bereits
(mit Beantwortung der Gewinnfrage, Anklicken der "weiter" Schaltfläche, der Eingabe von persönlichen Daten
und Anklicken der Schaltfläche "senden") für die Teilnahme an der Verlosung entschieden hat (hier: Es wurde lediglich
denjenigen Teilnehmern die die "Check-Box" der Einverständniserklärung offen ließen mitgeteilt, dass eine Teilnahme
an dem Gewinnspiel ohne Einwilligungserklärung nicht möglich ist).
7. Dem Verbraucher wird gerade durch die mittels Kontrollkästchen ("Check-Box") eingeräumte Auswahlmöglichkeit
suggeriert, er könne sich für oder gegen die betreffende Angabe (hier: Einverständniserklärung) entscheiden.
8. Die in dem Fließtext einer Einwilligungserklärung - wie in § 13 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 TMG vorgeschrieben -
eingeräumte Möglichkeit des jederzeitigen Widerrufs relativiert die Annahme einer unangemessenen unsachlichen Beeinflussung
i.S.d. § 4 Nr. 1 UWG nicht. Durch die Möglichkeit zum nachträglichen Widerruf wird der wettbewerbsrechtlich relevante,
mit der Art und Weise einer Koppelung zwischen Gewinnspielteilnahme und einer Einwilligungserklärung in die Datenweitergabe
aufgebaute psychologische Druck weder beseitigt noch nennenswert vermindert.
Bearbeiter: Thomas Gramespacher
Online seit: 04.12.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1441
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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