Rechtsprechung // Urheberrecht
BGH, Urteil vom 05.11.2015 - I ZR 91/11
Marcel-Breuer-Möbel II - Verletzung des urheberrechtlichen Verbreitungsrechts durch gezielte Werbung für den Erwerb von Replika bekannter Designermöbel.
UrhG § 17 Abs. 1 Fall 1
Leitsätze:*1. Die Beantwortung der Frage, ob einem Erzeugnis Kunstwerkeigenschaft zukommt und ob es insbesondere einen ausreichenden Grad eigenschöpferischer Kraft offenbart, ist im wesentlichen Sache des Tatrichters (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 22.06.1995 - I ZR 119/93 - Silberdistel; BGH, Urteil vom 13.11.2013 - I ZR 143/12, MIR 2013, Dok. 097 - Geburtstagszug).
2. Das Verbreitungsrecht im Sinne von § 17 Abs. 1 UrhG ist das Recht, das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit anzubieten oder in Verkehr zu bringen. Da es sich bei dem Verbreitungsrecht um nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft harmonisiertes Recht handelt, ist die Bestimmung des § 17 Abs. 1 UrhG richtlinienkonform auszulegen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Richtlinie 2001/29/EG das Verbreitungsrecht vollständig harmonisiert und die Mitgliedstaaten das dadurch begründete Schutzniveau daher weder unterschreiten noch überschreiten dürfen (vgl. BGH, Urteil vom 22.01.2009 - I ZR 247/03 - Le-Corbusier-Möbel II, mwN; zum Recht der öffentlichen Wiedergabe vgl. EuGH, Urteil vom 13.02.2014 - C-466/12, MIR 2014, Dok. 022 - Svensson/ Retriever Sverige; BGH, Urteil vom 09.07.2015 - I ZR 46/12 - Die Realität II). Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG sehen die Mitgliedstaaten vor, dass den Urhebern in Bezug auf das Original ihrer Werke oder auf Vervielfältigungsstücke davon das ausschließliche Recht zusteht, die Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise zu erlauben oder zu verbieten. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG dahin ausgelegt, dass der Inhaber des ausschließlichen Verbreitungsrechts an einem geschützten Werk Angebote zum Erwerb oder gezielte Werbung in Bezug auf das Original oder auf Vervielfältigungsstücke des Werkes auch dann verbieten kann, wenn nicht erwiesen ist, dass es aufgrund dieser Werbung zu einem Erwerb des Schutzgegenstands durch einen Käufer aus der Union gekommen ist, sofern die Werbung die Verbraucher des Mitgliedstaats, in dem das Werk urheberrechtlich geschützt ist, zu seinem Erwerb anregt (EuGH, Urteil vom 13.05.2015 - C-516/13 - Dimensione und Labianca/Knoll).
3. Das ausschließliche Verbreitungsrecht des Urhebers umfasst das Recht, das Original oder Vervielfältigungsstücke des Werkes der Öffentlichkeit zum Erwerb anzubieten und gegenüber der Öffentlichkeit gezielt für den Erwerb des Originals oder von Vervielfältigungsstücken des Werkes zu werben.
4. Ein Geschäftsführer haftet für deliktische Handlungen der von ihm vertretenen Gesellschaft persönlich, wenn er an ihnen entweder durch positives Tun beteiligt war oder wenn er sie aufgrund einer nach allgemeinen Grundsätzen des Deliktsrechts begründeten Garantenstellung hätte verhindern müssen (BGH, Urteil vom 18.06.2014 - I ZR 242/12, MIR 2014, Dok. 084 - Geschäftsführerhaftung, mwN; BGH, Urteil vom 27. 11. 2014 – I ZR 124/11 - Videospiel-Konsolen II; BGH, Urteil vom 22.01.2015 - I ZR 107/13 - Exzenterzähne). Beruht die Rechtsverletzung auf einer Maßnahme der Gesellschaft, über die typischerweise auf Geschäftsführungsebene entschieden wird, kann nach dem äußeren Erscheinungsbild und mangels abweichender Feststellungen davon ausgegangen werden, dass sie von dem Geschäftsführer veranlasst worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 18.06.2014 - I ZR 242/12, MIR 2014, Dok. 084 - Geschäftsführerhaftung; BGH, Urteil vom 27. 11. 2014 – I ZR 124/11 - Videospiel-Konsolen II; BGH, Urteil vom 22.01.2015 - I ZR 107/13 - Exzenterzähne). Über den allgemeinen Werbeauftritt einschließlich des Internetauftritts eines Unternehmens sowie die Frage, ob und inwieweit von der Gesellschaft hergestellte oder vertriebene Produkte im Ausland vertrieben und beworben werden sollen, wird insoweit typischerweise auf Geschäftsleitungsebene entschieden.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 07.04.2016
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2769
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
// Artikel gesammelt "frei Haus"? Hier den MIR-Newsletter abonnieren
OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.05.2024 - 20 UKl 3/23, MIR 2024, Dok. 056
Namen sind nur "Schall und Rauch" - Neben dem Namen gehört auch die Rechtsform zur Identität des Unternehmers im Sinne von § 5a Abs. 3 Nr. 2 UWG
OLG Hamm, Urteil vom 18.02.2020 - 4 U 66/19, MIR 2020, Dok. 022
Werbung mit Kundenbewertungen auf Facebook die über Gewinnspiele generiert wurden wettbewerbswidrig
Oberlandesgericht Frankfurt a.M., MIR 2020, Dok. 072
Sachgerechte Prozessführung - Wegfall der Dringlichkeitsvermutung bei Nichtbegründung einer sofortigen Beschwerde gegen einen zurückweisenden Beschluss im Verfügungsverfahren
OLG Nürnberg, Beschluss vom 28.02.2023 - 3 W 290/23, MIR 2023, Dok. 026
Recht auf Vergessenwerden - Kein schematischer Auslistungsanspruch nach Art. 17 Abs. 1 DSGVO gegenüber einer juristischen Datenbank und Suchmaschine (dejure.org) wegen der Verknüpfung bei namensbezogenen Suchanfragen
OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.10.2023 - I-16 U 127/22, MIR 2023, Dok. 068