Rechtsprechung // Zivilrecht
BGH, Urteil vom 15.05.2014 - III ZR 368/13
Häkchen reicht nicht - Die bloße Abrufbarkeit einer Widerrufsbelehrung auf einer gewöhnlichen Webseite ("ordinary website") des Unternehmers reicht für die formgerechte Mitteilung der Widerrufsbelehrung an den Verbraucher nicht aus.
BGB §§ 126b, 242, § 309 Nr. 12 Buchst. b, § 312d Abs. 1 (a.F.), § 355 (a.F.)
Leitsätze:*1. Die für die Widerrufsbelehrung erforderlichen Informationen müssen in einer zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeigneten Weise sowohl vom Unternehmer abgegeben werden als auch dem Verbraucher zugehen. Bei der Abrufbarkeit der Widerrufsbelehrung auf einer gewöhnlichen Website ("ordinary website") gelangt die Belehrung nicht in einer unveränderlichen textlich verkörperten Gestalt in den Machtbereich des Verbrauchers. Erforderlich ist dann vielmehr, dass der Verbraucher die Belehrung per Briefpost oder E-Mail erhält oder auf seinem Computer abspeichert oder selbst ausdruckt. Hierbei obliegt der Beweis für eine Ausdruck durch den Verbraucher dem Unternehmer.
2. Zu den dauerhaften Datenträgern gehören insbesondere Disketten, CD-Roms, DVDs und die Festplatte des Computers des Verbrauchers, auf der die elektronische Post gespeichert wird, Internetwebseiten dagegen nur dann, wenn sie die in der Defintion des Begriffs "dauerhaftes Medium" enthaltenen Voraussetzungen erfüllen (vgl. Erwägungsgrund 20 der Richtlinie 2002/65/EG).
Eine sogenannte fortgeschrittene Webseite ("sophisticated website") kann als den Anforderungen an einen für den Verbraucher verfügbaren dauerhaften Datenträger im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 97/7/EG genügend in Betracht gezogen werden, wenn sie Elemente enthält, die den Verbraucher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dazu anhalten, die Informationen in Papierform zu sichern oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger zu speichern (vgl. EFTA-Gerichtshof, Urteil vom 27.01.2010 - E-4/09) oder wenn sie einen sicheren Speicherbereich für den einzelnen Verbraucher vorsieht, auf welchen nur dieser mittels Eingabe von Benutzernamen und Passwort zugreifen kann, so dass der Unternehmer keine Möglichkeit hat, die dort einmal eingestellten Informationen zu ändern (vgl. EFTA-Gerichtshof, Urteil vom 27.01.2010 - E-4/09).
3.
a) Die bloße Abrufbarkeit einer Widerrufsbelehrung auf einer gewöhnlichen Webseite ("ordinary website") des Unternehmers reicht für die formgerechte Mitteilung der Widerrufsbelehrung an den Verbraucher nach § 355 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1, § 126b BGB nicht aus (Anschluss an BGH, Urteil vom 29. April 2010 - I ZR 66/08, NJW 2010, 3566).
b) Die vom Unternehmer in einem Online-Anmeldeformular vorgegebene, vom Kunden (Verbraucher) bei der Anmeldung zwingend durch Anklicken mit einem Häkchen im Kontrollkasten zu versehende Bestätigung
"Widerrufserklärung [ ] Widerrufsbelehrung zur Kenntnis genommen und ausgedruckt oder abgespeichert?"
ist gemäß § 309 Nr. 12 Buchst. b BGB sowie deshalb unwirksam, weil sie von den verbraucherschützenden Regelungen in § 355 Abs. 2 und 3, § 360 Abs. 1 BGB zum Nachteil des Verbrauchers abweicht.
c) Ist eine vom Unternehmer vorformulierte Bestätigung des Kunden unwirksam, so kann der Unternehmer dem Widerruf des Kunden nicht den Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegenhalten und gegen den Kunden auch keinen Schadensersatzanspruch wegen arglistiger Täuschung oder sonstiger Treuepflichtverletzung geltend machen, indem er den Vorwurf erhebt, dass der Kunde diese Bestätigung wahrheitswidrig erteilt habe.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Gramespacher
Online seit: 23.06.2014
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2610
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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