Rechtsprechung // Urheberrecht
BGH, Urteil vom 27.05.2021 - I ZR 119/20
Lautsprecherfoto - Keine öffentliche Wiedergabe an "recht viele Personen" durch Zugänglichkeit eines Lichtbildes (hier: Produktbild bei eBay-Kleinanzeigen) über 70 Zeichen umfassende URL
UrhG § 15 Abs. 3, § 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 2, § 19a
Leitsätze:*1. Der Begriff der "öffentlichen Wiedergabe" im Sinne des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG hat zwei Tatbestandsmerkmale, nämlich eine Handlung der Wiedergabe und die Öffentlichkeit dieser Wiedergabe. Ferner erfordert dieser Begriff eine individuelle Beurteilung. Im Rahmen einer derartigen Beurteilung sind eine Reihe weiterer Kriterien zu berücksichtigen, die unselbständig und miteinander verflochten sind. Da diese Kriterien im jeweiligen Einzelfall in sehr unterschiedlichem Maß vorliegen können, sind sie einzeln und in ihrem Zusammenwirken mit den anderen Kriterien anzuwenden (BGH, Urteil vom 18.06.2020 - I ZR 171/19, MIR 2020, Dok. 076 - Rundfunkübertragung in Ferienwohnungen, mwN). Der maßgebliche Begriff der Öffentlichkeit ist nur bei einer unbestimmten Zahl potentieller Adressaten und recht vielen Personen erfüllt. Um eine "unbestimmte Zahl potentieller Adressaten" handelt es sich, wenn die Wiedergabe für Personen allgemein erfolgt, also nicht auf besondere Personen beschränkt ist, die einer privaten Gruppe angehören (zu Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG vgl. EuGH, Urteil vom 07.12.2006 - C-306/05, MIR 2006, Dok. 264 - SGAE, mwN; zu Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 92/100/EWG [jetzt Richtlinie 2006/115/EG] vgl. EuGH, Urteil vom 15.03.2012 - C-135/10; EuGH, Urteil vom 15.03.2012 - C-162/10 - Phonographic Performance (Ireland); BGH, Urteil vom 17.09.2015 - I ZR 228/14 - Ramses; BGH, Urteil vom 11.01.2018 - I ZR 85/17 - Krankenhausradio). Mit dem Kriterium "recht viele Personen" ist gemeint, dass der Begriff der Öffentlichkeit eine bestimmte Mindestschwelle enthält und eine allzu kleine oder gar unbedeutende Mehrzahl betroffener Personen ausschließt. Zur Bestimmung dieser Zahl von Personen ist die kumulative Wirkung zu beachten, die sich aus der Zugänglichmachung der Werke bei den potentiellen Adressaten ergibt. Dabei kommt es darauf an, wie viele Personen gleichzeitig und nacheinander Zugang zu demselben Werk haben (vgl. EuGH, Urteil vom 07.12.2006 - C-306/05, MIR 2006, Dok. 264, Rn. 38 - SGAE; EuGH, Urteil vom 07.03.2013 - C-607/11, MIR 2014, Dok. 022 - ITV Broadcasting u.a.; EuGH, Urteil vom 13.02.2014 - C-466/12 - Svensson u.a.; EuGH, Urteil vom 27.02.2014 - C-351/12 - OSA; EuGH, Urteil vom 31.05.2016 - C-117/15 - Reha Training; EuGH, Urteil vom 08.09.2016 - C-160/15 - GS Media BV; BGH, Urteil vom 18.06.2015 - I ZR 14/14 - Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen; BGH, Urteil vom 17. 9. 2015 – I ZR 228/14 - Ramses; BGH, Urteil vom 11.01.2018 - I ZR 85/17 - Krankenhausradio; BGH, Urteil vom 18.06.2020 - I ZR 171/19, MIR 2020, Dok. 076 - Rundfunkübertragung in Ferienwohnungen).
2. Das für die Prüfung der öffentlichen Zugänglichmachung relevante Kriterium "recht viele Personen" ist nicht erfüllt, wenn ein Produktfoto, dass zunächst von einem Verkäufer urheberrechtsverletzend auf einer Internethandelsplattform im Rahmen seiner Verkaufsanzeige öffentlich zugänglich gemacht worden war, nach Abgabe einer Unterlassungserklärung des Verkäufers nur noch durch die Eingabe einer rund 70 Zeichen umfassenden URL-Adresse im Internet zugänglich war und nach der Lebenserfahrung davon auszugehen ist, dass die URL-Adresse nur von Personen eingegeben wird, die diese Adresse zuvor - als das Foto vor Abgabe der Unterlassungserklärung noch im Rahmen der Anzeige des Verkäufers frei zugänglich gewesen war - abgespeichert oder sie sonst in irgendeiner Weise kopiert oder notiert haben, oder denen die Adresse von solchen Personen mitgeteilt worden war.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 31.08.2021
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3106
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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