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Urteilsanmerkung



Martin Rätze

Wann ist die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen rechtsmissbräuchlich i.S.d. § 8 Abs. 4 UWG? - Anmerkung zum Urteil des LG Bielefeld vom 05.11.2008 - Az. 18 O 34/08*

MIR 2009, Dok. 034, Rz. 1-17


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1. Die Entscheidung

Das Landgericht Bielefeld[1] hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob die Verwendung des alten Musters der Widerrufsbelehrung in der gesetzlichen Übergangsfrist bis zum 30.09.2008 wettbewerbsrechtlich zu beanstanden ist oder nicht. Das Gericht verneinte diese Frage und verwies auf die Begründung des Verordnungsgebers, der einen Verstoß während der Übergangszeit als unerheblich einstufe. Das Landgericht schloss sich damit dem Kammergericht Berlin an (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 11.04.2008 – Az. 5 W 41/08 = MIR 2008, Dok. 127).

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Außerdem äußerte sich das Gericht zur rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG. Ein solcher Rechtsmissbrauch sei im entschiedenen Fall gerade auch wegen der verwandtschaftlichen Beziehung zwischen abmahnendem Anwalt und seinem Mandanten anzunehmen.

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Des Weiteren problematisierte das Gericht das Bestehen einer Wiederholungsgefahr. Hierbei ging es mit der herrschenden Meinung zunächst davon aus, dass durch einen ersten Verstoß die Wiederholungsgefahr zu vermutet sei.[2] Im entschiedenen Fall sei allerdings eine Ausnahme zu machen, da die Beklagte mittlerweile das neue amtliche Muster für die Widerrufsbelehrung nutze. Es seien keine Anzeichen dafür zu sehen, dass die Beklagte in Zukunft wieder das alte Muster verwenden würde. Eine Wiederholungsgefahr sei daher zu verneinen.

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2. Bedeutung für Praxis

Da die Übergangsfrist aus § 16 BGB-InfoV zur Verwendung des alten Belehrungsmusters bereits abgelaufen ist, hat die Entscheidung diesbezüglich nur noch Bedeutung für ältere Sachverhalte, die sich im Zeitraum von 01. April bis 30. September 2008 ereigneten. Dem Gericht ist insoweit zuzustimmen, als die Verwendung des alten Musters innerhalb der gesetzlichen Übergangsfrist lediglich einen Bagatellverstoß darstellte.[3]

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Hinsichtlich der Beurteilung der rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen (§ 8 Abs. 4 UWG) ist die Entscheidung wichtig für die Praxis. Da es das BMJ noch nicht geschafft hat, das rechtsmissbräuchliche Abmahnwesen zu begrenzen, sind die Gerichte gefragt, die Möglichkeiten des UWG voll auszuschöpfen.

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Das Gericht schließt sich dem OLG Naumburg[4] an und bestätigt, dass systematisches Vorgehen, enge personelle Verflechtung und überhöhte Kostenansätze für eine Annahme im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG sprechen.

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Zunächst ging das Gericht auf das verwandtschaftliche Verhältnis von Mandant und Anwalt ein. Der abmahnende Anwalt war der Onkel des Klägers.[5]

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Dies allein rechtfertigt aber noch nicht die Annahme der rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung von Ansprüchen. Allerdings ist es Grund genug, die Intention der Geltendmachung der Ansprüche genauer zu untersuchen.[6]

9
Ein weiteres Indiz für einen Rechtsmissbrauch war der weit überhöht angesetzte Streitwert von 10.000,00 EUR,[7] welcher Anwaltskosten in ca. 3,9-facher Höhe des Monatsumsatzes des Klägers entstehen ließ. Betrachtet man das gesamte Prozesskostenrisiko, immerhin 3.151,38 EUR bei nur einer Instanz, ist bereits das 17-fache des Umsatzes des Klägers erreicht. Bei 8 Abmahnungen beläuft sich das Risiko somit auf 25.211,04 EUR für eine Instanz. Selbst bei einem angenommenen Durchschnittsumsatz von 500,00 EUR monatlich müsste der Abmahner diesen über 50 Monate erreichen, um das Prozesskostenrisiko abzudecken.

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Der Umsatz des Klägers ist bei der Berechnung des Streitwertes zu beachten. Das Landgericht hat die an dieser Stelle notwendige Abwägung zwischen den Interessen von Kläger und Beklagten vorgenommen und ist zu dem Schluss gelangt, dass die Höhe der geltend gemachten Anwaltsgebühren in keinem wirtschaftlichen Verhältnis zu den sonstigen Umsätzen steht.

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Eine solche Interessenabwägung entspricht der obergerichtlichen Rechtssprechung. Beispielhaft seien hier die Entscheidungen verschiedener Oberlandesgerichte angeführt: Das OLG Stuttgart[8] bemaß jeden Fehler in einer Widerrufsbelehrung mit 2.500,00 EUR, das OLG Naumburg[9] nur mit 2.000,00 EUR, das OLG Celle[10] mit 3.000,00 EUR und das OLG Düsseldorf[11] mit nur 900,00 EUR. Im vorliegenden Fall geht es um die Falschangabe des Beginns der Widerrufsfrist. Ein Standardfehler, den selbst der Gesetzgeber im alten Muster beging. Gegenstandswerte in solch einfach gelagerten Fällen die über den Regelstreitwert des RVG von 4.000,00 EUR (§ 23 Abs. 3 S. 2, 2. HS. RVG) hinaus gehen, dürften bereits als sehr starkes Indiz für die rechtsmissbräuchliche Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche ausreichen.

12
Das Gericht ist bei der Gesamtschau dieser Umstände zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass der Unterlassungsanspruch rechtsmissbräuchlich i.S.d. § 8 Abs. 4 UWG geltend gemacht wurde. Auch das OLG Hamm als Berufungsgericht dürfte nicht umhin kommen, sich dieser Bewertung anzuschließen.

13
Das Gericht äußerte weiterhin Bedenken zum Bestehen der Wiederholungsgefahr. Die Ausführungen hierzu sind für die Praxis hoch interessant.

14
Zwar ist anerkannt, dass ein alleiniges Abstellen der Verletzungshandlung nicht ausreichend ist, die Wiederholungsgefahr zu beseitigen. Allerdings wird für das Bestehen der Wiederholungsgefahr eine gewisse Wahrscheinlichkeit verlangt, dass das beanstandete Verhalten auch in Zukunft fortgesetzt wird. Die Gefahr der Fortsetzung des Wettbewerbsverstoßes muss also ernsthaft und greifbar zu besorgen sein.[12]

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Im entschiedenen Fall verwendete die Beklagte seit dem 14.07.2008 nicht mehr das alte Muster zur Widerrufsbelehrung, dessen Fehler Gegenstand der Abmahnung waren, sondern das zum 01.04.2008 aktualisierte Muster aus der BGB-InfoV. In dieser besonderen Fallkonstellation kann, so das LG Bielefeld, davon ausgegangen werden, dass die Beklagte ihr Verhalten nicht mehr in wettbewerbswidriger Art und Weise ändert, indem sie wieder auf die alte Belehrung umschwenkt. Die Beklagte hielt sich nämlich bereits vor der Abmahnung an das gesetzliche Muster, und nach der Abmahnung entsprechend an das neue. Es war damit niemals ernsthaft und greifbar zu besorgen, dass die Beklagte nach dem Abstellen der Verletzungshandlung diese wieder aufnehmen würde. Genau dies verlangt aber der BGH.[13]

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Eine Wiederholungsgefahr war daher vor Rechtshängigkeit nicht gegeben. Ein Unterlassungsanspruch bestand bereits aus diesem Grunde nicht.

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3. Fazit

Das LG Bielefeld hat hier zutreffend einen Rechtsmissbrauch angenommen und die Klage abgewiesen. Die Ausführungen zur Widerholungsgefahr in dieser besonderen Konstellation überzeugen ebenfalls. Es bleibt zu hoffen, dass sich das OLG Hamm dieser Entscheidung anschließen wird.[14]


[*] Der Autor ist Diplom-Wirtschaftsjurist und Mitarbeiter der Rechtsabteilung der Trusted Shops GmbH in Köln.
[1] MIR 2009, Dok. 012, abrufbar unter: http://medien-internet-und-recht.de/volltext.php?mir_dok_id=1853.
[2] Beckedorf in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, § 8, Rn. 13 m.w.N.
[3] Hierzu ausführlich Föhlisch MMR 2008, 547.
[4] OLG Naumburg, Urteil vom 13.07.2007, AZ. 10 U 14/07 – MIR 2007, Dok. 438, abrufbar unter: http://medien-internet-und-recht.de/volltext.php?mir_dok_id=1463.
[5] Im Urteil heißt es noch, dass der Kläger der Bruder des abmahnenden Anwalts sei. Nach einem Hinweis der Beklagten war dies so nicht korrekt. Der Anwalt ist der Onkel des Klägers.
[6]Einem Hinweis der Beklagten zufolge wies der Richter bereits in der mündlichen Verhandlung aus seine Bedenken zur Zulässigkeit der Geltendmachung des Unterlassungsanspruches hin, auch wegen der Verwandtschaftsbeziehung. Die Parteien fanden aber nicht zu einem Vergleich.
[7] So sah das AG Schleiden/Eifel (Urteil v. 1.12.08, AZ: 9 C 158/08) einen Streitwert von 8.000,00 EUR bei Kleinsthändlern auf einem unüberschaubar großem Markt als "deutlich übersetzten Gegenstandswert" an.
[8] OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.02.2008 - Az. 2 U 71/07 – MIR 2008, Dok. 066, abrufbar unter: http://medien-internet-und-recht.de/volltext.php?mir_dok_id=1530.
[9] OLG Naumburg, Beschluss vom 18.07.2007 - Az. 10 W 37/07 – MIR 2007, Dok. 433, abrufbar unter: http://medien-internet-und-recht.de/volltext.php?mir_dok_id=1458.
[10] OLG Celle, Beschluss vom 19.11.2007, Az.: 13 W 112/07 – MIR 2007, Dok. 427, abrufbar unter: http://medien-internet-und-recht.de/volltext.php?mir_dok_id=1452.
[11] OLG Düsseldorf, Beschluss vom. 29.11.2007, Az.: I-20 U 107/07 – MIR 2007, Dok. 426, abrufbar unter: http://medien-internet-und-recht.de/volltext.php?mir_dok_id=1451.
[12] Beckedorf in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, § 8, Rn. 11.
[13] Beckedorf, a.a.O.
[14] Die Berufungsverhandlung ist für den 24.03.2009 angesetzt.

Online seit: 11.02.2009
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1875
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