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Urteilsanmerkung



RA Alexander Schultz, LL.M. (Informationsrecht)

Beweisführung bei Streitigkeiten über Rechtsverletzungen in P2P-Netzen - Anmerkung zum Urteil des Landgerichts Hamburg vom 14.03.2008 - Az. 308 O 76/07*

MIR 2008, Dok. 102, Rz. 1-8


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Die Entscheidung

Gegenstand der Entscheidung des Landgerichts Hamburg vom 14.03.2008 (Az. 308 O 76/07 (= MIR 2008, Dok. 101) war die äußerst relevante, jedoch regelmäßig (mangels qualifizierten Bestreitens) offen gelassene Frage, inwieweit die von einem privaten Dienstleister erstellten Beweismittel bezüglich des öffentlichen Zugänglichmachens von Tonaufnahmen in einem auf dem Gnutella-Protokoll basierenden Filesharingnetzwerk den Anforderungen der zivilprozessualen Beweisführung genügen. Die insoweit den Ermittlungen zugrunde liegenden Methoden werden nur selten von gerichtlich bestellten IT-Sachverständigen auf ihre Verwertbarkeit hin überprüft (die Kostenfrage bei Prozessverlust und gegebenenfalls zu leistende Vorschüsse spielen in diesem Zusammenhang eine nicht unerhebliche Rolle). Allenfalls werden Privatgutachten, die als erweiterter Parteivortrag zu werten sind, beigebracht. Das Landgericht Hamburg hat in seinen Entscheidungsgründen hervorgehoben, dass die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der vermeintlichen Rechtsverletzung an einer Tonaufnahme beim Kläger liegt.

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Stellungnahme

Während diverse Unternehmen auf In-House-Entwicklungen zur Überwachung von P2P-Netzwerken setzen, wurden im vorliegenden Fall Screenshots beziehungsweise Dateiauflistungen von einer bei der Ermittlungsfirma beschäftigten Person angefertigt. Gemeinsam ist sämtlichen Verfahren, dass die Anfertigung der Dokumentation und die Speicherung derselben - ausschließlich (und damit gegebenenfalls modifizierbar) - innerhalb der Zugriffssphäre der anspruchstellenden Partei erfolgt. Spricht bei automatisierten und in sich geschlossenen (qualifiziert signierten) Verfahren der Anschein zumindest für die Integrität der gesicherten Daten, so vermag andernfalls nur eine natürliche Person als Zeuge die Lücke zwischen Wahrnehmung der unerlaubten Handlung und Dokumentation derselben schließen. Freilich muss dies nachvollziehbar und lückenlos geschehen und so erfolgen, dass sich auch der natürliche Gedächtnisverlust bezüglich des konkreten Einzelfalls im Streitfalle nicht schädlich auswirkt.

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Die Vorlage eines elektronisches Dokuments (hier: Screenshot) stellt zivilprozessual gesehen ein Beweisantritt durch Augenschein gem. § 371 Abs. 1 Satz 2 ZPO dar. Praktisch bedeutet dies, dass man entweder das Dokument per E-Mail und/oder Datenträger übermittelt oder es wird ein klassischer Papierausdruck angefertigt. Eine solche Beweisführung ist grundsätzlich der freien richterlichen Beweiswürdigung gemäß § 286 ZPO zugänglich. Der Beweiswert an sich ist im Streitfall problematisch, da ohne qualifizierte elektronische Signatur weder ein Beweismittel i.S.d. § 371a ZPO noch ohne Unterschrift ein solches i.S.d. § 416 ZPO (Privaturkunde) vorliegt.

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Gelingt es diese Lücke (durch Signatur/Unterschrift/Zeuge) zu schließen, verbleibt immer noch die Frage, wie es sich mit den im Screenshot bzw. abgedruckten Dateinamen verhält. Die Rechteinhaber tragen zumeist außergerichlich vor, dass sie anhand von Hashwerten (= digitale Fingerabdrücke) in die Lage versetzt werden, die Authentizität der streitgegenständlichen Tonaufnahmen im gerichtlichen Verfahren nachzuweisen.

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Lediglich die Benennung eines Hash-Wertes legt jedoch nicht den Inhalt des Dokuments selbst offen. Die Originalität des im Screenshot abgebildeten Hash-Wertes einmal unterstellt, würde ohne Existenz einer Datei mit gleichem Hashwert bei dem beweissichernden Unternehmen keine Aussage über den Dateiinhalt selbst zulassen.

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Die - damit zentral - nachzuweisende Frage des Dateinhaltes hat mitunter auch das Landgericht Hamburg aufgeworfen, indem es bemängelt hat, der leitende Ermittler der privaten Ermittlungsfirma habe die streitgegenständliche Datei nicht angehört.

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Die beweissichernden Unternehmen downloaden unter anderem probeweise Ausschnitte oder ganze Dateien. Scheinbar konnte man im vorliegenden Fall auf diese Inhalte nicht mehr zugreifen oder es wurden andere Inhalte als die klageweise geltend gemachten Tonaufnahmen heruntergeladen. Letzten Endes bleibt selbst bei einem Testdownload immer noch ungeklärt, wie es sich mit darüber hinaus dargereichten pauschalen Dateiauflistungen verhält, wenn insoweit beim beweisbelasteten Anspruchsteller keine auf ihren Inhalt hin verifizierten Vergleichswerte zur Verfügung stehen.

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Praxishinweis

Aus Sicht des Beklagten kann es Sinn machen, den angreifenden Tonträgerhersteller in die Hauptsache zu zwingen, da dort anders als im einstweiligen Verfügungsverfahren die Mittel der Glaubhaftmachung bezüglich der Beweissicherung im Klageverfahren nicht mehr ausreichen.


* Der Autor Alexander Schultz ist Rechtsanwalt in Hagen, Herausgeber des Computer- & Mediendelikte Kommentars (CuMK), Bochum, zu finden unter der Adresse http://www.mediendelikte.de, sowie ständiges Redaktionsmitglied von MEDIEN INTERNET und RECHT (MIR).

Online seit: 27.03.2008
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1567
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