Rechtsprechung
LG Bückeburg, Urteil vom 22.04.2008 - 2 O 62/08
"nicht nur aberwitzig falsch, sondern geradezu dreist" - Zur Rechtsmissbräuchlichkeit wettbewerbsrechtlicher Abmahnungen gemäß § 8 Abs. 4 UWG.
UWG §§ 3, 8 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4, § 12 Abs. 4; BGB §§ 355, 356; ZPO § 3; GKG § 53 Abs. 1
Leitsätze:*1. Nach § 8 Abs. 4 UWG ist die Geltendmachung von wettbewerbsrechtlichen Ansprüchen
unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände missbräuchlich
ist, insbesondere wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwiderhandelnden einen
Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen.
2. Zwar ist bei einem Mitbewerber im Sinne des § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG regelmäßig ein berechtigtes Interesse an der
Rechtsverfolgung gegeben, jedoch kann auch bei diesem unter Berücksichtigung aller Umstände ein
Missbrauch wegen vorwiegenden Gebühreninteresses vorliegen, so dass dementsprechend auch keine
strengen Anforderungen an einen Missbrauch zu stellen sind.
3. Eine außerordentlich hohe Fallzahl (hier: über 500 Fälle monatlich) bei einem Einzelanwalt
kann für das massenweise Verschicken wettbewerbsrechtlicher Abmahnungen sprechen. Dies gilt umso mehr als der
betreffenden Anwalt zusammen mit einem Verfügungskläger in einer Vielzahl von Fällen wettbewerbsrechtlicher
Abmahnungen in Erscheinung getreten ist (hier nach Mitteilungen in einem Internetforum von Betroffenen).
4. Zwar ist eine umfangreiche Abmahntätigkeit allein noch kein Indiz für einen Missbrauch. Ein solcher kann aber dann
anzunehmen sein, wenn die Abmahntätigkeit in keinem vernünftigen Verhältnis zur eigentlichen Geschäftstätigkeit
steht und bei objektiver Betrachtung an der Verfolgung bestimmter Wettbewerbsverstöße kein nennenswertes wirtschaftliches
Interesse außer dem Gebührenerzielungsinteresse bestehen kann.
5. Stellen bei einem Mitbewerber konkret gerügte Wettbewerbsverstöße nur eine geringe Gefahr für den Abmahnenden dar, potentielle
Kunden an den Zuwiderhandelnden zu verlieren und Umsatz- und Gewinneinbußen zu erleiden, während ein solches Vorgehen
- bis hin zur einstweiligen Verfügung - mit Arbeitsaufwand und einem nicht unerheblichen Kostenrisiko verbunden ist,
kann dies - auch unter Berücksichtigung einer kaufmännischen Abwägung der Vor- und Nachteile -
ein Indiz für eine Rechtsmissbräuchlichkeit der Abmahntätigkeit darstellen.
6. Für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen des Verfügungsklägers/Abmahnenden und seines Prozessbevollmächtigten spricht
auch der Umstand, dass in der Abmahnung Rechtsanwaltskosten nach einem (abenteuerlich) überhöhten Gegenstandswert
(hier: 100.000,00 EUR bei "gewöhnlichen" Wettbewerbsverstößen) berechnet wurden. Dis gilt umso mehr, als in der
Abmahnung unrichtige Ausführungen zur Berechnung des Gegenstandswerts gemacht werden (hier die Behauptung es handele sich
um einen "für Fälle dieser Art geringen" Streitwert).
7. Werden in einer Abmahnung als auch der Antragsschrift ganz überwiegend allgemein gehaltene tatsächliche und rechtliche
Ausführungen gemacht, die sich nur in einem vergleichsweise geringem Umfang auf den konkreten Einzelfall beziehen, kann
dies ein Anzeichen für rechtsmissbräuchliche Serien- und Massenabmahnungen darstellen. Gleiches gilt für den Umstand, dass
nur wenig schwerwiegende und nicht selten vorkommende Verstöße gegenüber einem vergleichsweise kleinem,
wirtschaftlich unbedeutenden Unternehmen gerügt werden, wodurch letztlich das Risiko der rechtlichen Gegenwehr des Abgemahnten
minimiert wird.
8. Die (korrekte) Angabe der Rechtsgrundlage ist kein zwingender Bestandteil der nach § 355 Abs. 2 BGB vorgeschriebenen Widerrufsbelehrung
(hier wurden alte Vorschriften zitiert: § 3 Fernabsatzgesetz i.V.m. § 361a BGB).
9. Die Werbung eines Versandhändlers mit dem versicherten Versand der Ware stellt keine irreführende Werbung mit
Selbstverständlichkeiten dar, da nicht feststellbar ist, dass die im Versandhandel tätigen Unternehmen
ihren Waren in der Regel versichert versenden. Ebenso wettbewerbsrechtlich unbedenklich - jedenfalls unerheblich i.S.d. § 3 UWG -
kann es sein, wenn in einem Angebot zwei geringfügig voneinander abweichende Angaben über die Versandkosten enthalten sind.
Denn bei nicht eindeutigen Angaben zur Höhe der Versandkosten fehlt es an einer vertraglichen Einigung über die
Übernahme der Versandkosten durch den Besteller, was im Zweifel dazu führt, dass der Unternehmer die Versandkosten zu tragen hat und
damit ein Nachteil des Bestellers (Verbrauchers) nicht anzunehmen ist.
10. Die fehlende Angabe des vollständigen Vor- und Zunamens des Geschäftsführers der Komplementärin einer GmbH ist wettbewerbsrechtlich
nicht zu beanstanden. Ein Nachteil entsteht dem Verbraucher dadurch nicht.
11. Räumt der Unternehmer dem Verbraucher sowohl ein Widerrufsrecht als auch ein Rückgaberecht i.S.d § 356 BGB ein, stellt
dies keinen Wettbewerbsverstoß dar. Dem Unternehmer ist es gesetzlich nicht verwehrt, seinen Kunden dadurch einen Vorteil
zu verschaffen, dass er neben dem Widerrufsrecht zusätzlich auch ein Rückgaberecht gewährt.
12. Bei einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung ist in der Regel ein den Wettbewerb nur unerheblich beeinträchtigender Verstoß
anzunehmen (§ 3 UWG).
Der Verwender einer unrichtigen Widerrufsbelehrung schadet nämlich nicht in erster Linie seinen Kunden oder Mitbewerbern,
sondern sich selbst, da eine nicht ordnungsgemäß erteilte Widerrufsbelehrung nach § 355 Abs. 3 Satz 3 BGB dazu führt,
dass der Verbraucher das Rechtsgeschäft unbefristet, also auch noch nach Ablauf der Gewährleistungsfrist widerrufen kann.
Die Gefahr, dass ein Verbraucher durch eine unrichtige Widerrufsbelehrung von der Wahrnehmung seines Widerrufsrechtes
abgehalten wird, besteht zwar; sie darf bei lebensnaher Betrachtung im Hinblick auf die
geänderten Lebensverhältnisse aber auch nicht überschätzt werden. Angesichts der in den letzten Jahren
erfreulicherweise fortschreitenden und immer besser werdenden Aufklärung der Verbraucher kann das Bestehen
eines Widerrufsrechtes bei bestimmten Rechtsgeschäften, insbesondere bei solchen im Internet- und im sonstigen
Versandhandel, heute als allgemein bekannt angesehen werden. Verbraucher neigen inzwischen in der Regel nicht zu der
irrtümlichen Annahme , ein Rechtsgeschäft könne nicht widerrufen werden, sondern eher dazu, ein Widerrufsrecht
auch bei Geschäften anzunehmen, bei denen ein solches Recht gar nicht besteht.
13. Für den Streitwert bei einer unrichtigen Widerrufsbelehrung regelmäßig von einem Richtwert von 3.000,00 EUR
auszugehen (OLG Celle, Beschluss vom 19.11.2007 - Az. 13 W 112/07).
Bearbeiter: RA Thomas Gramespacher
Online seit: 14.05.2008
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1618
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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