Rechtsprechung // Telemedienrecht
BGH, Urteil vom 27.01.2022 - III ZR 3/21
Klarnamenpflicht, Facebook - Zur Wirksamkeit einer, in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Anbieters vereinbarten, Klarnamenpflicht bei der Nutzung eines sozialen Netzwerks
BGB § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1; TMG § 13 Abs. 6 Satz 1 aF; Richtlinie 95/46/EG Art. 6 und 7
Leitsätze:*1.
a) Zeitlicher Bezugspunkt für die Frage, ob eine Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam ist, ist im Individualprozess der Zeitpunkt, zu dem die Bestimmung in den jeweiligen Vertrag einbezogen worden ist. Wurde der Vertragspartner des Verwenders durch die Bestimmung zu diesem Zeitpunkt unangemessen benachteiligt, ist sie von Anfang an als unwirksam anzusehen und kann nicht nachträglich Wirksamkeit erlangen (Anschluss an BGH, Urteil vom 3. November 1999 - VIII ZR 269/98).
b) Der bis zum 30. November 2021 geltende § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG, wonach der Diensteanbieter die Nutzung von Telemedien unter Pseudonym zu ermöglichen hat, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist, ist mit der Richtlinie 95/46/EG vom 24. Oktober 1995 (Datenschutz-Richtlinie) vereinbar.
c) Bei einer vor Geltung der Verordnung (EU) 2016/679 vom 27. April 2016 (Datenschutz-Grundverordnung) in einen Vertrag über die Nutzung eines sozialen Netzwerks einbezogenen Bestimmung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Anbieters, nach welcher der Vertragspartner abweichend von § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG bei der Nutzung des Netzwerks den im täglichen Leben gebrauchten Namen zu verwenden hat, ist im Zweifel eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners anzunehmen.
2. Dem Internet ist die anonyme Nutzung immanent (BGH, Urteil vom 23.09.2014 - VI ZR 358/13; BGH, Urteil vom 20.02.2018 - VI ZR 30/17, MIR 2018, Dok. 023). Der Vertrag über die Nutzung eines sozialen Netzwerks ist - sofern sich aus einzelnen Bestimmungen oder aus sonstigen Umständen nichts anderes ergibt - von einem verständigen und redlichen Vertragspartner so zu verstehen, dass er als Profilnamen auch ein Pseudonym verwenden kann. Damit stimmt überein, dass der nationale Gesetzgeber in § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG aF beziehungsweise mit Geltung ab dem 01.12.2021 inhaltsgleich in § 19 Abs. 2 TTDSG - unter dem Vorbehalt der technischen Möglichkeit und Zumutbarkeit - eine entsprechende Pflicht des Anbieters normiert hat.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 15.03.2022
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/3165
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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