Rechtsprechung
OLG Düsseldorf
Urteil vom 24.05.2006 - Az. I-15 U 45/06 - (Zur Sorgfaltspflichtverletzung durch Versenden einer Massenmail mit offen gelegten E-Mail-Adressen der Empfänger. Zum Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch Zusendung unerbetener E-Mail-Werbung; insbesondere bei Adressaten, die im besonderen Maße verpflichtet sind, die zugesandten E-Mails einer Relevanzprüfung zu unterziehen. § 823 Abs. 1 BGB, § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG)
Leitsätze (tg):
1. Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist ein sonstiges Recht im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB.
Der Schutzbereich dieses Tatbestandes umfasst neben Unternehmen im engeren Sinne auch die wirtschaftliche Betätigung
in freien Berufen (hier: die Tätigkeit von Rechtsanwälten).
2. Für die Beurteilung eines betriebsbezogenen Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb durch die
unaufgeforderte Zusendung von E-Mails mit werbendem Inhalt sind die Kriterien für die Wettbewerbswidrigkeit von
E-Mail-Werbung im Rahmen des § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG heranzuziehen. Denn die nur subsidiär anwendbare
Vorschrift des § 823 Abs. 1 BGB zum Schutz des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs
dient gerade auch dazu, noch vorhandende Lücken im Anwendungsbereich des UWG zu schließen.
3. Nach der gesetzlichen Wertung des § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG stellt die unverlangte, d.h. die ohne das vorherige ausdrückliche
oder stillschweigende Einverständnis des Adressaten abgeschickte E-Mail-Werbung eine unzumutbare Belästigung dar. Hierbei
folgt die Unzumutbarkeit der Belästigung durch unverlangte E-Mail-Werbung zum einen aus dem entstehenden Kostenaufwand (z.B.
Internet-Nutzungsgebühren) und zum anderen aus dem Aufwand an Mühe und Zeit für die Wahrnehmung und Aussonderung unerbetener
E-Mails.
4. Die Unzumutbarkeit der Belästigung erfordert eine Beeinträchtigung von gewisser Intensität. Bloße Belästigungen und
sozial übliche Behinderungen reichen für die Annahme eines betriebsbezogenen Eingriffs nicht aus.
5. Insbesondere bei Adressaten einer E-Mail-Werbung, die in besonderem Maße verpflichtet sind, die zugesandten E-Mails
sorgfältig auf ihre Relevanz zu überprüfen (hier eine Rechtsanwaltskanzlei hinsichtlich der Relevanz für den
Kanzleibetrieb) und Sorge dafür tragen zu haben, nicht versehentlich E-Mails, die keine Werbung enthalten, zu löschen,
verursacht das erforderliche sorgfältige Aussortieren von Werbemails eine nicht unerhebliche Störung des
Betriebsablaufs.
6. Wegen der Ausuferungsgefahr, die die Folgen der E-Mail-Werbung mit sich bringt, muss jeder einzelne Mitverursacher
für die Gesamtwirkung verantwortlich gemacht werden, d.h. auf Grund der Mitverursachung eines möglichen Überlaufens des elektronischen
Briefkastens (E-Mail-Postfach) des Empfängers liegt bereits in der Übersendung einer einmaligen unerbetenen Werbenachricht
ein unterlassungsrelevanter Eingriff in die Rechte des Empfängers am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.
7. Stellt der Versender einer Massenmail (Newsletter) nicht durch geeignete und ohne weiteres zumutbare Maßnahmen (Versendung als
Blindkopie - BCC) sicher, dass - aus Gründen des Datenschutzes und der Datensicherheit - eine E-Mail mit offen
gelegter Adressatenliste (CC) versendet wird, kann hierin ein sorgfaltswidriges Verhalten des Versenders liegen, wenn
die E-Mail nicht nur an geschlossene Benutzergruppen versendet wird.
Denn durch die Offenlegung der Adressaten werden die E-Mail-Adressen sämtlicher Empfänger der E-Mail (hier: Newsletter)
ebenso allen anderen Empfängern mitgeteilt und stellen einen Angriffspunkt z.B. für die Verbreitung von Viren und Spamming dar.
MIR 2006, Dok. 088
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 29.06.2006
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/303
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