Rechtsprechung // Wettbewerbsrecht
BGH, Urteil vom 20.02.2020 - I ZR 193/18
Kundenbewertungen auf Amazon - Keine wettbewerbsrechtliche Haftung eines Anbieters bei Amazon für Kundenbewertungen Dritter, wenn er sich derartige Bewertungen nicht zu eigen macht
GG Art. 5 Abs. 1 Satz 1; UWG § 3 Abs. 1, §§ 3a, 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1, 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 2; HWG § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11
Leitsätze:*1. Für die Beurteilung, ob eine wegen wettbewerbswidriger Werbung in Anspruch genommene Person sich fremde Äußerungen zu eigen macht, kommt es entscheidend darauf an, ob sie nach außen erkennbar die inhaltliche Verantwortung für die Äußerungen Dritter übernimmt oder den zurechenbaren Anschein erweckt, sie identifiziere sich mit ihnen. Ob dies der Fall ist, ist aus der Sicht eines verständigen Durchschnittsnutzers auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände zu beurteilen (zur Haftung eines Portalbetreibers für fremde Inhalte vgl. BGH, Urteil vom 19.03.2015 - I ZR 94/13, MIR 2015, Dok. 070 - Hotelbewertungsportal, mwN; BGH, Urteil vom 04.04.2017 - VI ZR 123/16, MIR 2017, Dok. 026; zur Haftung für Hyperlinks vgl. BGH, Urteil vom 18.06.2015 - I ZR 74/14, MIR 2016, Dok. 002 - Haftung für Hyperlink). Dieser Maßstab gilt auch im Heilmittelwerberecht (hier: "Zu-Eigen-Machen" verneint für Kundenbewertungen, die als solche gekennzeichnet sind, sich bei Amazon getrennt vom Angebot befinden und von den Nutzern insoweit nicht der Sphäre des jeweiligen Verkäufers zugerechnet würden).
2.
a) Den Anbieter eines auf der Online-Handelsplattform Amazon angebotenen Produkts trifft für nicht von ihm veranlasste Kundenbewertungen keine wettbewerbsrechtliche Haftung, wenn er sich diese Bewertungen nicht zu eigen macht.
Für die Beurteilung, ob eine wegen wettbewerbswidriger Werbung in Anspruch genommene Person sich fremde Äußerungen zu eigen macht, kommt es entscheidend darauf an, ob sie nach außen erkennbar die inhaltliche Verantwortung für die Äußerungen Dritter übernimmt oder den zurechenbaren Anschein erweckt, sie identifiziere sich mit ihnen. Dieser Maßstab gilt auch im Heilmittelwerberecht.
b) Ob das Angebot auf der Online-Handelsplattform Amazon eine Garantenstellung mit der Rechtspflicht begründet, eine Irreführung durch Kundenbewertungen abzuwenden, bestimmt sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalls und bedarf einer Abwägung.
c) Bei dieser Abwägung ist zu berücksichtigen, dass Kundenbewertungssysteme auf Online-Handelsplattformen gesellschaftlich erwünscht sind und verfassungsrechtlichen Schutz genießen. Das Interesse von Verbraucherinnen und Verbrauchern, sich zu Produkten zu äußern und sich vor dem Kauf über Eigenschaften, Vorzüge und Nachteile eines Produkts aus verschiedenen Quellen, zu denen auch Bewertungen anderer Kunden gehören, zu informieren oder auszutauschen, wird durch die Meinungs- und Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Bei einem Angebot von Arzneimitteln oder Medizinprodukten kann allerdings das Rechtsgut der öffentlichen Gesundheit bei der Abwägung zu berücksichtigen sein.
d) Gibt der Anbieter eines auf einer Online-Handelsplattform angebotenen Produkts selbst irreführende oder gefälschte Kundenbewertungen ab, bezahlt er dafür oder können ihm die Kundenbewertungen aus anderen Gründen als Werbung zugerechnet werden, haftet er als Täter, gegebenenfalls Mittäter, eines Wettbewerbsverstoßes.
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 17.03.2020
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2961
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
// Artikel gesammelt "frei Haus"? Hier den MIR-Newsletter abonnieren
Bundesgerichtshof, MIR 2018, Dok. 024
In dem beA-Postfach ist eine Nachricht eingegangen! - Zum Zugang eines, über das besondere elektronische Anwaltspostfach gesendeten, Schreibens
OLG Hamm, Urteil vom 22.02.2024 - 22 U 29/23, MIR 2024, Dok. 027
Reservierungsgebühr - Zur AGB-rechtlichen Kontrolle eines, zu einem Immobilienmaklervertrag als Nebenabrede abgeschlossenen, sogenannten Reservierungsvertrags (hier unwirksam)
BGH, Urteil vom 20.04.2023 - I ZR 113/22, MIR 2023, Dok. 036
"im Vertrieb" - Zur Irreführung über die Lieferbarkeit eines Medikaments kurz vor Markteintritt und zur Erledigung, dem Wegfall der Dringlichkeit und dem Rechtsschutzbedürfnis bei einer zeitlich beschränkten einstweiligen Verfügung
OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 18.08.2022 - 6 U 56/22, MIR 2022, Dok. 091
Neuausgabe - Zur Unangemessenheit einer AGB, die den Verlag eines juristischen Großkommentars berechtigten soll, die Zusammenarbeit mit einem Kommentator für eine Neuausgabe ohne sachlichen Grund und Mitteilung dessen abzulehnen
BGH, Urteil vom 20.12.2018 - I ZR 133/17, MIR 2021, Dok. 014