Kurz notiert // Urheberrecht
Bundesgerichtshof
Ohne Einwiligung der Verlage möglich: Zulässigkeit elektronischer Leseplätze in Bibliotheken
BGH, Urteil vom 16.04.2015 - I ZR 69/11 - Elektronische Leseplätze II - Verfahrensgang: EuGH, Urteil vom 11.09.2014 - C-117/13 - TU Darmstadt/Ulmer; BGH, Beschluss vom 20.09.2012 - I ZR 69/11 - Elektronische Leseplätze I; LG Frankfurt a.M., 16.03.2011 - 2/06 O 378/10
MIR 2015, Dok. 038, Rz. 1
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Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 16.04.2015 (I ZR 69/11 - Elektronische Leseplätze II) dazu entschieden, unter welchen Voraussetzungen an elektronischen Leseplätzen in Bibliotheken elektronische Bücher auch ohne Einwilligung des Rechtsinhabers zugänglich gemacht werden dürfen.
Zur Sache
Die Klägerin ist ein Verlag. Die Beklagte, die Technische Universität Darmstadt, hat in ihrer öffentlich zugänglichen Bibliothek elektronische Leseplätze eingerichtet, an denen Bibliotheksnutzer Zugang zu bestimmten Werken aus dem Bibliotheksbestand haben. Darunter befand sich das im Verlag der Klägerin erschienene Lehrbuch "Einführung in die neuere Geschichte". Die Beklagte hatte das Buch digitalisiert, um es an den elektronischen Leseplätzen bereitzustellen. Die Nutzer der Leseplätze konnten das Werk ganz oder teilweise auf Papier ausdrucken oder auf einem USB-Stick abspeichern. Auf ein Angebot der Klägerin, von ihr herausgegebene Lehrbücher als E-Books zu erwerben und zu nutzen, ist die Beklagte nicht eingegangen.
Die Klägerin ist der Ansicht, eine solche Nutzung der in ihrem Verlag erschienenen Werke sei nicht von der Schrankenregelung des § 52b UrhG gedeckt. Danach ist es zulässig, veröffentlichte Werke aus dem Bestand öffentlich zugänglicher Bibliotheken, die keinen unmittelbar oder mittelbar wirtschaftlichen oder Erwerbszweck verfolgen, ausschließlich in den Räumen der jeweiligen Einrichtung an eigens dafür eingerichteten elektronischen Leseplätzen zur Forschung und für private Studien zugänglich zu machen, soweit dem keine vertraglichen Regelungen entgegenstehen. Die Klägerin nimmt die Beklagte unter anderem auf Unterlassung in Anspruch.
Das Landgericht Frankfurt a.M. hat den Antrag der Klägerin, der Beklagten zu verbieten, Bücher aus dem Verlag der Klägerin zu digitalisieren und in digitalisierter Form an elektronischen Leseplätzen ihrer Bibliothek zu benutzen, wenn die Klägerin ihr für diese Nutzung einen angemessenen Lizenzvertrag anbietet zwar abgewiesen. Es hat der Beklagten jedoch untersagt, Bibliotheksnutzern zu ermöglichen, digitale Versionen von Büchern aus ihrem Verlag an elektronischen Leseplätzen auszudrucken oder auf USB-Sticks abzuspeichern. Mit der vom Bundesgerichtshof zugelassenen Sprungrevision hat die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage angestrebt. Mit der Anschlussrevision hat die Klägerin ihren Klageantrag in vollem Umfang weiterverfolgt.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Abweisung der Klage insgesamt
Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 20.09.2012 das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH mehrere Fragen zur Auslegung von Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft zur Vorabentscheidung vorgelegt. Die Regelung des § 52b UrhG setzt Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG um und ist daher richtlinienkonform auszulegen. Der EuGH hat hierüber durch Urteil vom 11.09.2014 entschieden. Der BGH hat die Klage nunmehr insgesamt abgewiesen.
Digitale Nutzung an elektronischen Leseplätzen auch ohne Einwilligung möglich - Vertragsangebot keine "vertragliche Regelung" im Sinne von § 52b UrhG
Dass die Klägerin der Beklagten den Abschluss eines Lizenzvertrages angeboten hat, der die Beklagte dazu berechtigt hätte, im Verlag der Klägerin erschienene Bücher in digitalisierter Form an den elektronischen Leseplätzen ihrer Bibliothek zugänglich zu machen, habe die Beklagte rechtlich nicht daran gehindert, diese Bücher unter Berufung auf § 52b UrhG auch ohne Einwilligung der Klägerin auf diese Weise zu nutzen. Unter "vertraglichen Regelungen", die nach § 52b UrhG einer solchen Nutzung entgegenstehen, seien allein Regelungen in bestehenden Verträgen und keine bloßen Vertragsangebote zu verstehen.
Akzessorische Berechtigung zur Digitalisierung - § 52a Abs. 3 UrhG analog
Die Beklagte sei auch berechtigt, im Verlag der Klägerin erschienene Bücher ihres Bibliotheksbestandes zu digitalisieren, wenn dies erforderlich ist, um diese Bücher an elektronischen Leseplätzen ihrer Bibliothek zugänglich zu machen. § 52b UrhG sehe zwar keine solche Berechtigung vor. Jedoch sei in diesen Fällen die unmittelbar für das öffentliche Zugänglichmachen von Werken in Unterricht und Forschung geltende Regelung des § 52a Abs. 3 UrhG entsprechend anwendbar, die zur Zugänglichmachung erforderliche Vervielfältigungen erlaube. Eine entsprechende Anwendung dieser Regelung sei geboten, weil das Recht zur Wiedergabe von Werken an elektronischen Leseplätzen einen großen Teil seines sachlichen Gehalts und sogar seiner praktischen Wirksamkeit verlieren würde, wenn die Bibliotheken kein akzessorisches Recht zur Digitalisierung der betroffenen Werke besäßen.
Möglichkeit zum Ausdrucken und Abspeichern durch die Nutzer? Kein Problem!
Die Beklagte habe das Urheberrecht an dem inkriminierten Buch auch nicht dadurch verletzt, dass sie es Bibliotheksnutzern ermöglicht hat, das an elektronischen Leseplätzen zugänglich gemachte Werk auszudrucken oder auf USB-Sticks abzuspeichern. Der Beklagten sei es nach § 52b UrhG erlaubt gewesen, das Buch an elektronischen Leseplätzen zugänglich zu machen. § 52b UrhG sei im Blick auf Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG nicht dahingehend einschränkend auszulegen, dass Werke an elektronischen Leseplätzen nur in der Weise zugänglich gemacht werden dürfen, dass sie von Nutzern dort nur gelesen und nicht auch ausgedruckt oder abgespeichert werden können. Die Beklagte hafte auch nicht für unbefugte Vervielfältigungen des Werkes durch Nutzer der elektronischen Leseplätze. Das Berufungsgericht habe nicht festgestellt, dass es zu unberechtigten Vervielfältigungen durch Nutzer der Leseplätze gekommen ist. Davon könne auch nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Ein Ausdrucken oder Abspeichern von an elektronischen Leseplätzen bereitgestellten Werken könne in vielen Fällen zudem als Vervielfältigung zum privaten oder sonstigen eigenen Gebrauch nach § 53 UrhG zulässig sein.
(tg) - Quelle: PM Nr. 064/2015 des BGH vom 16.04.2015
Zur Sache
Die Klägerin ist ein Verlag. Die Beklagte, die Technische Universität Darmstadt, hat in ihrer öffentlich zugänglichen Bibliothek elektronische Leseplätze eingerichtet, an denen Bibliotheksnutzer Zugang zu bestimmten Werken aus dem Bibliotheksbestand haben. Darunter befand sich das im Verlag der Klägerin erschienene Lehrbuch "Einführung in die neuere Geschichte". Die Beklagte hatte das Buch digitalisiert, um es an den elektronischen Leseplätzen bereitzustellen. Die Nutzer der Leseplätze konnten das Werk ganz oder teilweise auf Papier ausdrucken oder auf einem USB-Stick abspeichern. Auf ein Angebot der Klägerin, von ihr herausgegebene Lehrbücher als E-Books zu erwerben und zu nutzen, ist die Beklagte nicht eingegangen.
Die Klägerin ist der Ansicht, eine solche Nutzung der in ihrem Verlag erschienenen Werke sei nicht von der Schrankenregelung des § 52b UrhG gedeckt. Danach ist es zulässig, veröffentlichte Werke aus dem Bestand öffentlich zugänglicher Bibliotheken, die keinen unmittelbar oder mittelbar wirtschaftlichen oder Erwerbszweck verfolgen, ausschließlich in den Räumen der jeweiligen Einrichtung an eigens dafür eingerichteten elektronischen Leseplätzen zur Forschung und für private Studien zugänglich zu machen, soweit dem keine vertraglichen Regelungen entgegenstehen. Die Klägerin nimmt die Beklagte unter anderem auf Unterlassung in Anspruch.
Das Landgericht Frankfurt a.M. hat den Antrag der Klägerin, der Beklagten zu verbieten, Bücher aus dem Verlag der Klägerin zu digitalisieren und in digitalisierter Form an elektronischen Leseplätzen ihrer Bibliothek zu benutzen, wenn die Klägerin ihr für diese Nutzung einen angemessenen Lizenzvertrag anbietet zwar abgewiesen. Es hat der Beklagten jedoch untersagt, Bibliotheksnutzern zu ermöglichen, digitale Versionen von Büchern aus ihrem Verlag an elektronischen Leseplätzen auszudrucken oder auf USB-Sticks abzuspeichern. Mit der vom Bundesgerichtshof zugelassenen Sprungrevision hat die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage angestrebt. Mit der Anschlussrevision hat die Klägerin ihren Klageantrag in vollem Umfang weiterverfolgt.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Abweisung der Klage insgesamt
Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 20.09.2012 das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH mehrere Fragen zur Auslegung von Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft zur Vorabentscheidung vorgelegt. Die Regelung des § 52b UrhG setzt Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG um und ist daher richtlinienkonform auszulegen. Der EuGH hat hierüber durch Urteil vom 11.09.2014 entschieden. Der BGH hat die Klage nunmehr insgesamt abgewiesen.
Digitale Nutzung an elektronischen Leseplätzen auch ohne Einwilligung möglich - Vertragsangebot keine "vertragliche Regelung" im Sinne von § 52b UrhG
Dass die Klägerin der Beklagten den Abschluss eines Lizenzvertrages angeboten hat, der die Beklagte dazu berechtigt hätte, im Verlag der Klägerin erschienene Bücher in digitalisierter Form an den elektronischen Leseplätzen ihrer Bibliothek zugänglich zu machen, habe die Beklagte rechtlich nicht daran gehindert, diese Bücher unter Berufung auf § 52b UrhG auch ohne Einwilligung der Klägerin auf diese Weise zu nutzen. Unter "vertraglichen Regelungen", die nach § 52b UrhG einer solchen Nutzung entgegenstehen, seien allein Regelungen in bestehenden Verträgen und keine bloßen Vertragsangebote zu verstehen.
Akzessorische Berechtigung zur Digitalisierung - § 52a Abs. 3 UrhG analog
Die Beklagte sei auch berechtigt, im Verlag der Klägerin erschienene Bücher ihres Bibliotheksbestandes zu digitalisieren, wenn dies erforderlich ist, um diese Bücher an elektronischen Leseplätzen ihrer Bibliothek zugänglich zu machen. § 52b UrhG sehe zwar keine solche Berechtigung vor. Jedoch sei in diesen Fällen die unmittelbar für das öffentliche Zugänglichmachen von Werken in Unterricht und Forschung geltende Regelung des § 52a Abs. 3 UrhG entsprechend anwendbar, die zur Zugänglichmachung erforderliche Vervielfältigungen erlaube. Eine entsprechende Anwendung dieser Regelung sei geboten, weil das Recht zur Wiedergabe von Werken an elektronischen Leseplätzen einen großen Teil seines sachlichen Gehalts und sogar seiner praktischen Wirksamkeit verlieren würde, wenn die Bibliotheken kein akzessorisches Recht zur Digitalisierung der betroffenen Werke besäßen.
Möglichkeit zum Ausdrucken und Abspeichern durch die Nutzer? Kein Problem!
Die Beklagte habe das Urheberrecht an dem inkriminierten Buch auch nicht dadurch verletzt, dass sie es Bibliotheksnutzern ermöglicht hat, das an elektronischen Leseplätzen zugänglich gemachte Werk auszudrucken oder auf USB-Sticks abzuspeichern. Der Beklagten sei es nach § 52b UrhG erlaubt gewesen, das Buch an elektronischen Leseplätzen zugänglich zu machen. § 52b UrhG sei im Blick auf Art. 5 Abs. 3 Buchst. n der Richtlinie 2001/29/EG nicht dahingehend einschränkend auszulegen, dass Werke an elektronischen Leseplätzen nur in der Weise zugänglich gemacht werden dürfen, dass sie von Nutzern dort nur gelesen und nicht auch ausgedruckt oder abgespeichert werden können. Die Beklagte hafte auch nicht für unbefugte Vervielfältigungen des Werkes durch Nutzer der elektronischen Leseplätze. Das Berufungsgericht habe nicht festgestellt, dass es zu unberechtigten Vervielfältigungen durch Nutzer der Leseplätze gekommen ist. Davon könne auch nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Ein Ausdrucken oder Abspeichern von an elektronischen Leseplätzen bereitgestellten Werken könne in vielen Fällen zudem als Vervielfältigung zum privaten oder sonstigen eigenen Gebrauch nach § 53 UrhG zulässig sein.
(tg) - Quelle: PM Nr. 064/2015 des BGH vom 16.04.2015
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Gramespacher
Online seit: 16.04.2015
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2705
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