Kurz notiert // Wettbewerbsrecht
Bundesgerichtshof
"Screen Scraping" stellt nicht zwingend eine wettbewerbswidrige Behinderung im Sinne von § 4 Nr. 10 UWG dar
BGH, Urteil vom 30.04.2014 - I ZR 224/12 - Flugvermittlung im Internet; Verfahrensgang: LG Hamburg, Urteil vom 26.02.2010 – 310 O 31/09; OLG Hamburg - Urteil vom 24.10.2012 - 5 U 38/10
MIR 2014, Dok. 059, Rz. 1
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Der Bundesgerichtshof (I. Zivilsenat) hat mit Urteil vom 30.04.2014 (I ZR 224/12 - Flugvermittlung im Internet) über die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit des automatisierten Abrufs von Daten einer Internetseite, um sie auf einer anderen Internetseite anzuzeigen (sogenanntes "Screen Scraping"), entschieden. Eine wettbewerbswidrige Behinderung nach § 4 Nr. 10 UWG liege im vorliegenden Fall - nach einer Gesamtabwägung - nicht zwingend vor.
Zur Sache
Die Klägerin ist eine Fluggesellschaft, die preisgünstige Linienflüge anbietet. Sie vertreibt ihre Flüge ausschließlich über ihre Internetseite sowie ihr Callcenter und bietet dort auch die Möglichkeit zur Buchung von Zusatzleistungen Dritter an, wie beispielsweise Hotelaufenthalte oder Mietwagenreservierungen. Bei der Buchung eines Fluges über die Internetseite der Klägerin muss ein Kästchen angekreuzt werden. Damit akzeptiert der Buchende die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin. In diesen Bedingungen untersagt die Klägerin den Einsatz eines automatisierten Systems oder einer Software zum Herausziehen von Daten von ihrer Internetseite, um diese auf einer anderen Internetseite anzuzeigen. Die Beklagte betreibt im Internet ein Portal, über das Kunden Flüge verschiedener Fluggesellschaften online buchen können. Dort wählt der Kunde in einer Suchmaske eine Flugstrecke und ein Flugdatum aus. Ihm werden sodann entsprechende Flüge verschiedener Fluggesellschaften aufgezeigt, unter anderem solche der Klägerin. Wählt der Kunde einen Flug aus, werden ihm die genauen Flugdaten und der von der Fluggesellschaft verlangte Flugpreis angezeigt. Die für die konkrete Anfrage des Kunden erforderlichen Daten werden von der Beklagten automatisch von den Internetseiten der Fluggesellschaften abgerufen. Die Beklagte erhebt für ihre Vermittlung Gebühren, die während der Buchung auf ihrem Portal dem von der Klägerin verlangten Flugpreis hinzugerechnet werden. Die Klägerin sieht in dem Verhalten der Beklagten eine missbräuchliche Nutzung ihres Buchungssystems und ein unzulässiges Einschleichen in ihr Direktvertriebssystem. Sie hat die Beklagte auf Unterlassung der Vermittlung von Flugbuchungen in Anspruch genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht die Beklagte antragsgemäß zur Unterlassung verurteilt. Es hat angenommen, der geltend gemachte Unterlassungsanspruch sei wegen unlauteren Schleichbezugs gemäß § 4 Nr. 10 UWG* begründet. Auf die Revision der Beklagten hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Screen Scraping keine wettbewerbswidrige Behinderung - nach einer Gesamtabwägung
Der Bundesgerichtshof hat eine wettbewerbswidrige Behinderung der Klägerin gemäß § 4 Nr. 10 UWG verneint. Im Streitfall führe eine Gesamtabwägung der Interessen der Mitbewerber, der Verbraucher sowie der Allgemeinheit nicht zu der Annahme, dass die Klägerin durch die beanstandete Vermittlung von Flügen durch die Beklagte ihre Leistungen am Markt durch eigene Anstrengungen nicht mehr in angemessener Weise zur Geltung bringen kann. Erforderlich sei insoweit eine Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeit, die über die mit jedem Wettbewerb verbundene Beeinträchtigung hinausgeht und bestimmte Unlauterkeitsmomente aufweist. Allein der Umstand, dass sich die Beklagte über den von der Klägerin in ihren Geschäftsbedingungen geäußerten Willen hinwegsetze, keine Vermittlung von Flügen im Wege des sogenannten "Screen-Scraping" zuzulassen, führe nicht zu einer wettbewerbswidrigen Behinderung der Klägerin.
Umgehung technischer Schutzvorrichtung kann zur Unlauterkeit führen
Ein Unlauterkeitsmoment könne allerdings darin liegen, dass eine technische Schutzvorrichtung überwunden wird, mit der ein Unternehmen verhindert, dass sein Internetangebot (auch) durch übliche Suchdienste genutzt werden kann. Einer solchen technischen Schutzmaßnahme stehe es aber - anders als es das Berufungsgericht angenommen hat - nicht gleich, dass die Klägerin die Buchung von Reisen über ihre Internetseite von der Akzeptanz ihrer Geschäfts- und Nutzungsbedingungen durch Ankreuzen eines Kästchens abhängig macht und die Beklagte sich über diese Bedingungen hinwegsetzt.
Förderung der Preistransparenz: Interessen der Beklagten überwiegen
Im Streitfall überwogen die Interessen der Klägerin auch die Interessen der Beklagten, so der Bundesgerichtshof. Das Geschäftsmodell der Beklagten fördere die Preistransparenz auf dem Markt der Flugreisen und erleichtere dem Kunden das Auffinden der günstigsten Flugverbindung. Dagegen wiegen die Interessen der Klägerin daran, dass die Verbraucher ihre Internetseite direkt aufsuchen und die dort eingestellte Werbung und die Möglichkeiten zur Buchung von Zusatzleistungen zur Kenntnis nehmen, nicht schwerer, so die Ansicht des Gerichts.
Im Übrigen wurde die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Dies werde nunmehr zu prüfen haben, ob der Klägerin Ansprüche wegen Irreführung und nach den Grundsätzen des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes zustehen.
(tg) - Quelle: PM Nr. 069/2014 des BGH vom 30.04.2014
Zur Sache
Die Klägerin ist eine Fluggesellschaft, die preisgünstige Linienflüge anbietet. Sie vertreibt ihre Flüge ausschließlich über ihre Internetseite sowie ihr Callcenter und bietet dort auch die Möglichkeit zur Buchung von Zusatzleistungen Dritter an, wie beispielsweise Hotelaufenthalte oder Mietwagenreservierungen. Bei der Buchung eines Fluges über die Internetseite der Klägerin muss ein Kästchen angekreuzt werden. Damit akzeptiert der Buchende die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin. In diesen Bedingungen untersagt die Klägerin den Einsatz eines automatisierten Systems oder einer Software zum Herausziehen von Daten von ihrer Internetseite, um diese auf einer anderen Internetseite anzuzeigen. Die Beklagte betreibt im Internet ein Portal, über das Kunden Flüge verschiedener Fluggesellschaften online buchen können. Dort wählt der Kunde in einer Suchmaske eine Flugstrecke und ein Flugdatum aus. Ihm werden sodann entsprechende Flüge verschiedener Fluggesellschaften aufgezeigt, unter anderem solche der Klägerin. Wählt der Kunde einen Flug aus, werden ihm die genauen Flugdaten und der von der Fluggesellschaft verlangte Flugpreis angezeigt. Die für die konkrete Anfrage des Kunden erforderlichen Daten werden von der Beklagten automatisch von den Internetseiten der Fluggesellschaften abgerufen. Die Beklagte erhebt für ihre Vermittlung Gebühren, die während der Buchung auf ihrem Portal dem von der Klägerin verlangten Flugpreis hinzugerechnet werden. Die Klägerin sieht in dem Verhalten der Beklagten eine missbräuchliche Nutzung ihres Buchungssystems und ein unzulässiges Einschleichen in ihr Direktvertriebssystem. Sie hat die Beklagte auf Unterlassung der Vermittlung von Flugbuchungen in Anspruch genommen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht die Beklagte antragsgemäß zur Unterlassung verurteilt. Es hat angenommen, der geltend gemachte Unterlassungsanspruch sei wegen unlauteren Schleichbezugs gemäß § 4 Nr. 10 UWG* begründet. Auf die Revision der Beklagten hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Entscheidung des Bundesgerichtshofs: Screen Scraping keine wettbewerbswidrige Behinderung - nach einer Gesamtabwägung
Der Bundesgerichtshof hat eine wettbewerbswidrige Behinderung der Klägerin gemäß § 4 Nr. 10 UWG verneint. Im Streitfall führe eine Gesamtabwägung der Interessen der Mitbewerber, der Verbraucher sowie der Allgemeinheit nicht zu der Annahme, dass die Klägerin durch die beanstandete Vermittlung von Flügen durch die Beklagte ihre Leistungen am Markt durch eigene Anstrengungen nicht mehr in angemessener Weise zur Geltung bringen kann. Erforderlich sei insoweit eine Beeinträchtigung der wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeit, die über die mit jedem Wettbewerb verbundene Beeinträchtigung hinausgeht und bestimmte Unlauterkeitsmomente aufweist. Allein der Umstand, dass sich die Beklagte über den von der Klägerin in ihren Geschäftsbedingungen geäußerten Willen hinwegsetze, keine Vermittlung von Flügen im Wege des sogenannten "Screen-Scraping" zuzulassen, führe nicht zu einer wettbewerbswidrigen Behinderung der Klägerin.
Umgehung technischer Schutzvorrichtung kann zur Unlauterkeit führen
Ein Unlauterkeitsmoment könne allerdings darin liegen, dass eine technische Schutzvorrichtung überwunden wird, mit der ein Unternehmen verhindert, dass sein Internetangebot (auch) durch übliche Suchdienste genutzt werden kann. Einer solchen technischen Schutzmaßnahme stehe es aber - anders als es das Berufungsgericht angenommen hat - nicht gleich, dass die Klägerin die Buchung von Reisen über ihre Internetseite von der Akzeptanz ihrer Geschäfts- und Nutzungsbedingungen durch Ankreuzen eines Kästchens abhängig macht und die Beklagte sich über diese Bedingungen hinwegsetzt.
Förderung der Preistransparenz: Interessen der Beklagten überwiegen
Im Streitfall überwogen die Interessen der Klägerin auch die Interessen der Beklagten, so der Bundesgerichtshof. Das Geschäftsmodell der Beklagten fördere die Preistransparenz auf dem Markt der Flugreisen und erleichtere dem Kunden das Auffinden der günstigsten Flugverbindung. Dagegen wiegen die Interessen der Klägerin daran, dass die Verbraucher ihre Internetseite direkt aufsuchen und die dort eingestellte Werbung und die Möglichkeiten zur Buchung von Zusatzleistungen zur Kenntnis nehmen, nicht schwerer, so die Ansicht des Gerichts.
Im Übrigen wurde die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Dies werde nunmehr zu prüfen haben, ob der Klägerin Ansprüche wegen Irreführung und nach den Grundsätzen des wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes zustehen.
(tg) - Quelle: PM Nr. 069/2014 des BGH vom 30.04.2014
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Gramespacher
Online seit: 30.04.2014
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2592
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