Rechtsprechung
BGH, Urteil vom 22.10.2009 - I ZR 58/07
Klassenlotterie - Zum Missbrauch und zum Prozesshindernis anderweitiger Rechtshängigkeit bei der Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche.
UWG § 8 Abs. 4; ZPO § 261 Abs. 3 Nr. 1
Leitsätze:*1. Das Prozesshindernis anderweitiger Rechtshängigkeit (§ 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) setzt die Übereinstimmung der Streitgegenstände voraus. Der Streitgegenstand
(der prozessuale Anspruch) wird durch den Klageantrag, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und durch
den Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet (BGHZ 154, 342, 347f. - Reinigungsarbeiten). Im
Interesse eines hinreichenden Rechtsschutzes können hierbei gewisse Verallgemeinerungen zulässig sein, sofern darin das Charakteristische der Verletzungshandlung
zum Ausdruck kommt (vgl. BGHZ 126, 287, 295 - Rotes Kreuz; BGHZ 166, 233 - Parfümtestkäufe).
2. Ist das begehrte Verbot eng auf die konkrete Verletzungshandlung beschränkt, sind einer erweiternden Auslegung des Unterlassungsantrags und dementsprechend
auch der Urteilsformel im Hinblick auf kerngleiche Verletzungshandlungen enge Grenzen gesetzt. Sind nach diesen Maßstäben die Unterlassungsanträge, die in
zwei getrennten Klageverfahren verfolgt werden, weder identisch noch im Kern gleich, liegen schon deswegen unterschiedliche Streitgegenstände vor.
3. Lässt sich der Gläubiger bei der Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs von sachfremden Motiven leiten, ist von einem Missbrauch im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG
auszugehen. Die sachfremden Ziele müssen dabei nicht das alleinige Motiv des Gläubigers sein, es genügt, wenn sie überwiegen. Insoweit kann sich ein missbräuchliches
Verhalten des Gläubigers daraus ergeben, dass dieser bei einem einheitlichen Wettbewerbsverstoß getrennte Verfahren anstrengt und dadurch die Kostenlast erheblich erhöht, obwohl eine Inanspruchnahme in nur einem Verfahren für ihn mit keinerlei Nachteilen verbunden ist (BGHZ 144, 165, 170f. - Missbräuchliche Mehrfachverfolgung;
BGH Urteil vom 17.11.2005 - Az. I ZR 300/02 - MEGA SALE). Dies Grundsätze sind auch anwendbar, wenn es um die Merfachverfolgung gleichartiger oder ähnlich gelagerter
Wettbewerbsverstöße geht
(vgl. BGH, Urteil vom 22.04.2009 - Az. I ZR 14/07, MIR 2009, Dok. 207 - 0,00 Grundgebühr).
4. Von einem Missbrauch i.S. des § 8 Abs. 4 UWG ist nicht auszugehen, wenn der Gläubiger zur getrennten Verfolgung in verschiedenen Prozessen im Hinblick auf
die unterschiedliche Beweissituation Anlass hat (hier: angegriffene Werbeaussagen in einem Spielplan und einem Internetauftritt einerseits und im Rahmen von
Telefon- und Postmarketingmaßnahmen andererseits).
Bearbeiter: RA Thomas Gramespacher
Online seit: 29.03.2010
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2148
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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