Rechtsprechung
BGH, Urteil vom 22.09.2009 - VI ZR 19/08
"Unsaubere Geschäfte" - Zum Schutz der Meinungsfreiheit bei kritischen Äußerungen über ein Unternehmen und dessen Vorstandsvorsitzenden.
BGB § 823; GG Art. 5 Abs. 1, 2
Leitsätze:*1. Für die Beurteilung der Frage, ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung bzw. Werturteil einzustufen ist, bedarf
es der Ermittlung des vollständigen Aussagegehalts. Jede beanstandete Äußerung ist in dem Gesamtzusammenhang zu beurteilen, in dem sie gefallen ist
und darf nicht aus dem betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden. Aus einer komplexen Äußerungen
dürfen Sätze und Satzteile mit tatsächlichem Gehalt nicht herausgegriffen und als unrichtige Tatsachenbehauptung untersagt werden, wenn die Äußerung nach
ihrem - zu würdigenden - Gesamtzusammenhang in den Schutzbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG fallen kann und daher
eine Abwägung zwischen den verletzten Grundrechtspositionen erforderlich wird (vgl. dazu etwa: BGH, Urteil vom 03.02.2009 - Az. VI ZR 36/07,
MIR 2009, Dok. 121).
2. Der Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG erstreckt sich auch auf die Äußerung von Tatsachen, soweit diese Dritten zur Meinungsbildung dienen können, sowie
auf Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen und die insgesamt durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt
werden (BGH, Urteil vom 5.12.2006 - Az. VI ZR 45/05, MIR 2007, Dok. 022;
BGH, Urteil vom 11.03.2008 - Az. VI ZR 189/06; BGH, Urteil vom 22.04.2008 - Az. VI ZR 83/07; BGH, Urteil vom 03.02.2009 - Az. VI ZR 36/07,
MIR 2009, Dok. 121).
3. An die Bewertung einer Äußerung als Schmähkritik sind strenge Maßstäbe anzulegen, da andernfalls eine umstrittene Äußerung ohne Abwägung dem Schutz der
Meinungsfreiheit entzogen und diese damit in unzulässiger Weise verkürzt wäre (BGHZ 143, 199, 2009; BGH, Urteil vom 11.03.2008 - Az. VI ZR 189/06;
BGH, Urteil vom 03.02.2009 - Az. VI ZR 36/07, MIR 2009, Dok. 121).
Eine Äußerung nimmt erst dann den Charakter einer Schmähung an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung der Person im Vordergrund
steht, die jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabsetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll (BGHZ 143, 199, 209;
BGH, Urteil vom 5.12.2006 - Az. VI ZR 45/05, MIR 2007, Dok. 022;
BGH, Urteil vom 11.12.2007 - Az. VI ZR 14/07; BGH, Urteil vom 11.03.2008 - Az. VI ZR 189/06;
BGH, Urteil vom 03.02.2009 - Az. VI ZR 36/07, MIR 2009, Dok. 121).
4. Großunternehmen und deren Führungskräfte müssen (grundsätzlich) eine genaue Beobachtung ihrer Handlungsweisen in der Öffentlichkeit hinnehmen. Insoweit besteht etwa an der
Bewertung der Geschäftstätigkeit des Vorstandsvorsitzenden eines deutschen Großunternehmens und dessen vorzeitigem Rücktritt ein großes öffentliches Interesse.
Gegenüber Großunternehmen und ihren Führungskräften sind die Grenzen zulässiger Kritik daher (grundsätzlich) weiter gezogen
(vgl. dazu: BGH, Urteil vom 29.01.2002 - Az. VI ZR 20/01; BGH, Urteil vom 16.11.2004 - Az. VI ZR 298/03; BGH, Urteil vom 21.11.2006 - Az. VI ZR 259/05; EGMR NJW 2006, 1255, 1259 -
Steel und Morris/Vereinigtes Königreich).
5. Zum Schutz der Meinungsfreiheit bei kritischen Äußerungen über ein Unternehmen und dessen Vorstandsvorsitzenden.
Bearbeiter: RA Thomas Gramespacher
Online seit: 06.12.2009
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2086
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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