Rechtsprechung
OLG Hamm, Urteil vom 26.05.2009 - 4 U 27/09
Missbräuchliche Anspruchsverfolgung - Zur Annahme des Rechtsmissbrauchs i.S.v. § 8 Abs. 4 UWG bei der Geltendmachung wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche im Wege der Abmahnung.
UWG §§ 8 Abs. 4, 9
Leitsätze:*1. Die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs ist unzulässig, wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den
in Anspruch genommenen (Abgemahnten) einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung
entstehen zu lassen. Hiervon ist auszugehen, wenn die äußeren Umstände in ihrer Gesamtheit aus Sicht eines wirtschaftlich
denkenden Unternehmers deutlich machen, dass der Anspruchsberechtigte kein nennenswertes wirtschaftliches oder
wettbewerbspolitisches Interesse an der Rechtsverfolgung haben kann und deshalb allein oder ganz überwiegend
nur ein Gebühreninteresse verfolgt (BGH GRUR 2001, 260, 261 - Vielfachabmahner). Demgegenüber genügt es für die Annahme
des Rechtsmissbrauchs nicht, wenn auch sachfremde Motivationen, ohne vorherrschend zu sein, bei der Anspruchsverfolgung
eine Rolle spielen, wobei es dem Anspruchsteller (Abmahner) hauptsächlich um die Unterbindung unlauteren Wettbewerbs geht
(BGH GRUR 2001, 82 - Neu in Bielefeld I).
2. Ob die Verfolgung wettbewerbsrechtlicher Ansprüche rechtsmissbräuchlich ist, muss im Einzelfall im
Rahmen einer Gesamtwürdigung und unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände erfolgen. Die Art und Schwere der
Zuwiderhandlung, das Verhalten des Anspruchsstellers bei der Rechtsverfolgung in anderen und früheren Fällen, das Verletzerverhalten nach
der Zuwiderhandlung und auch das Vorgehen sonstiger Anspruchsberechtigter bilden insoweit Anhaltspunkte (BGH GRUR 2000, 1089, 1092 -
Missbräuchlich Mehrfachverfolgung). Eine umfangreiche Abmahntätigkeit kann für sich allein und ohne das hinzutreten weiterer Umstände - wie
etwa ein Gebühren und/oder Behinderungs- oder Schädigungsinteresse gegenüber dem Verletzer - indes einen Missbrauch grundsätzlich noch nicht belegen
(BGH GRUR 2005, 433, 434 - Telekanzlei; OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 14.12.2006 - Az. 6 U 129/06,
MIR 2007, Dok. 016;
OLG Hamm, Urteil vom 01.04.2008 - Az. 4 U 10/08).
3. Bei der Beurteilung des Rechtsmissbrauchs im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG ist das Verhältnis zwischen der eigenen wirtschaftlichen Betätigung des
Abmahnenden und dem durch die Abmahntätigkeit entstandene Kostenrisiko besonders zu berücksichtigen. Für einen Rechtsmissbrauch spricht insoweit,
wenn das Kostenrisiko mit dem Geschäftsumfang und dem Begehren nach einem sauberen Wettbewerb nicht mehr in Einklang zu bringen ist.
4. Auf einen Rechtsmissbrauch bei der Geltendmachung von Ansprüchen nach § 8 Abs. 1 UWG kann ebenfalls hindeuten, wenn der Anspruchsteller neben den Abmahnkosten regelmäßig einen geringen pauschalen Schadenersatz nach § 9 UWG geltend macht (hier: EUR 100,00), der formelhaft als fällig dargestellt wird, während das für einen solchen Anspruch erforderliche Verschulden nicht angesprochen wird und eine konkrete Schadensberechnung tatsächlich kaum möglich noch beweisbar sein dürfte.
5. Innerhalb der insoweit vorzunehmenden Gesamtwürdigung kann auch der Wortlaut einer Abmahnung für ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen des Anspruchsstellers sprechen,
wenn unnötiger Druck auf die Abgemahnten gerade auch im Hinblick auf die Kostenerstattung ausgeübt und der Eindruck erweckt wird, die Unterwerfung und die Kostenerstattung seien gleichermaßen eilig.
6. Hat ein Antragsteller bereits bei der Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen (hier: im Wege der Abmahnung) rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG gehandelt, ist dies in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten.
Bearbeiter: RA Thomas Gramespacher
Online seit: 06.08.2009
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/2003
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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