Rechtsprechung
OLG Hamm, Urteil vom 22.03.2007 - 4 U 170/06
"Vertragsstrafe 2.131.800,00 EUR - Schöner die Kassen nie klingeln?" - Bei Zuwiderhandlung gegen ein Unterlassungsversprechen wegen Verwendung derselben unlauteren AGB liegt der Verstoß nicht in jedem einzelnen Verkaufsangebot, sondern in der Verwendung der rechtswidrigen Klausel, die für eine Vielzahl von Geschäften bestimmt ist.
BGB §§ 133, 157, 305c, 780, 781; HGB §§ 343, 348
Leitsätze:*1. Bei der Frage, ob die Verwendung einer Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingugnen (AGB) gegen
das Unterlassungsversprechen in einer Unterlassungserklärung verstößt, ist es unerheblich, ob die beanstandete
Klausel einer Inhaltskontrolle nach dem Gesetz standhält oder nicht. Entscheidend ist
der Maßstab der abgegebenen Unterlassungserklärung und inwieweit der Unterlassungsschuldner
mit der Verwendung der gerügten Klausel gegen das von ihm übernommene Verwendungsverbot verstößt.
2. Die Auslegung einer strafbewehrten Unterlassungserklärung erschöpft sich nicht
im bloßen Wortlaut. Vielmehr sind daneben die Interessenlagen der Parteien umfassend
zu berücksichtigen (vgl. BGH GRUR 2001, 758 - Trainingsvertrag; BGH GRUR 1998, 471 - Modenschau im Salvatorkeller;
OLG Hamm, Beschluss vom 19.09.2006 - Az. 4 W 114/06).
3. Verpflichtet sich der Schuldner nach dem Wortlaut der Unterlassungserklärung die
Verwendung einer AGB Klausel im geschäftlichten Verkehr gegenüber Verbrauchern zu
unterlassen, so kommt es bei der Auslegung des Versprechens auch auf die Sicht des
Verbrauchers an. Auslegungsmaßstab ist § 305c Abs. 2 BGB, wonach Auslegungszweifel
zu Lasten des Verwenders der Klausel gehen.
4. Selbst wenn der Wortlaut einer Unterlassungserklärung nahe legt, dass jeder einzelne
Fall der Zuwiderhandlung (hier: 418 einzelne Verkaufsangebote auf eBay unter Verwendung
rechtswidriger AGB) die Vertragsstrafe auslöst, und ausdrücklich mehrere Angebote nicht
zu einem Verstoß zusammengefasst werden sollen, kann die Vertragsstrafe im Fall der
Zuwiderhandlung bei der Verwendung unlauterer Allgemeiner Geschäftsbedingungen nur
einmal verwirkt sein.
5. Bei der Zuwiderhandlung gegen ein strafebewehrtes Unterlassungsversprechen wegen der
Verwendung unlauterer AGB (hier: in 418 eBay-Angeboten dieselbe Klausel) liegt ein Verstoß
nicht in jedem einzelnen Verkaufsangebot (hier: drohende Gesamtvertragsstrafen in Höhe
von 2.131.800,00 EUR), sondern vielmehr in der Verwendung der rechtswidrigen Klausel an
sich, die für eine Vielzahl von Geschäften bestimmt ist.
6. Enthält eine strafbewehrte Unterlassungserklärung zahlreiche Verbote und sichert
sie dadurch die Interessen des Unterlassungsgläubigers umfassend, und verstößt auch
nur ein Verkaufsangebot des Unterlassungsschuldners gegen eine der zahlreichen
Unterlassungsverpflichtungen (hier: unter Verwirkung von 5.100,00 EUR), so ist dies
im Rahmen der Auslegung einer Unterlassungserklärung zu berücksichtigen.
7. Für ein Verständnis entgegen dem Wortlaut einer Unterlassungserklärung (hier: Verbot
der Zusammenfassung einzelner Verstöße) kann sprechen, wenn die verwirkte Vertragsstrafe
beim wörtlichen Verständnis jeden vernünftigen Rahmen sprengen würde. Auch kann die Höhe
der Vertragsstrafe (hier: 5.100,00 EUR) bei Angeboten mit niedriger Preisgestaltung
(hier: 79,90 EUR) gegen ein Wortlautverständnis der Erklärung sprechen.
8. Zieht der Verwender einer unlauteren AGB den Vorteil
aus der unlauteren Klausel erst bei der Abwicklung einer mangelhaften Lieferung,
so ist dies bei einer Interessenabwägung über das Verständnis einer Unterlassungserklärung
zu berücksichtigen; dies umso mehr, wenn die Klausel dem Verwender in der Werbung
keinen Vorteil bringt.
9. Verschiedene Verkaufsangebote des Unterlassungsschuldners, die aufgrund der Verwendung
unterschiedlicher AGB jeweils selbstständig die Vertragsstrafe verwirken, sollen nicht
durch künstliche Rechtsfiguren wie die des Fortsetzungszusammenhangs zu einem
einheitlichen Verstoß verklammert werden können. Solange der Schuldner dieselben AGB
verwendet, liegt darin nur ein einheitlicher Verstoß; ändert er eine Klausel, kann darin
ein neuer Verstoß liegen.
10. Ein erneuter Verstoß kann in der Verwendung derselben unlauteren AGB liegen, wenn der
Unterlassungsschuldner nach entsprechender Rüge keine Abhilfe schafft. Der Verwender
unlauterer AGB soll sich nicht dadurch freikaufen können, dass er sich für die
Zukunft freie Bahn durch Zahlung einer einzigen Vertragsstrafe für die Verwendung rechtswidriger
AGB schafft. Insoweit ist es Sache des Unterlassungsgläubigers, sich durch Überprüfung
des Unterlassungsschuldners von dessen Vertragstreue zu überzeugen und im Falle des
Verstoßes durch Rügen eine Zäsur zu setzen.
11. Führt der Unterlassungsschuldner einen Gewerbebetrieb im Sinne des § 1 Abs. 2 HGB,
so ist die Herabsetzung der Vertragsstrafe durch das Gericht gem. §§ 343, 348 HGB
ausgeschlossen. Eine Herabsetzung kommt dann allenfalls nur noch nach den Grundsätzen
von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB in Betracht, sofern unangemessene Auswirkungen
durch den Unterlassungsschuldner begründet werden können.
Bearbeiter: RA Alexander Schultz, LL.M. (Informationsrecht)
Online seit: 23.09.2008
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1755
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