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Urteilsanmerkung



Dr. Ruben Hofmann

Zum Spannungsfeld zwischen Lauterkeits- und Markenrecht bei vergleichender Werbung - Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 12.06.2008 - Az. C-533/06 - O2 vs. Hutchison*

MIR 2008, Dok. 224, Rz. 1-10


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1. Die Entscheidung

Der EuGH hatte im Rahmen einer Vorabentscheidung gemäß Art. 234 EGV Fragen zum Spannungsfeld zwischen Lauterkeits- und Markenrecht bei vergleichender Werbung zu beantworten. Der Vorabentscheidung lag ein Rechtsstreit zwischen O2 Holdings Limited und O2 (UK) Limited (im Folgenden: O2) und Hutchison 3G UK Limited (im Folgenden: Hutchison) vor dem englischen Court of Appeal, dem englischen und walisischen Berufungsgericht, zugrunde. Hierbei ging es um einen TV-Werbespot von Hutchison, zu dessen Beginn der Name "O2" und Bilder sich bewegender Blasen in Schwarzweiß gezeigt worden waren. Anschließend stellte Hutchison ein neues Produkt vor, dass preiswerter als das Angebot von O2 war, was zwischen den Parteien des Rechtsstreits unstreitig blieb.

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Der Court of Appeal legte dem EuGH die Frage vor, ob der Inhaber einer Marke die Benutzung eines mit seiner Marke identischen oder ähnlichen Zeichens verbieten kann, die keine Verwechslung zwischen dem Werbenden und dem Mitbewerber hervorruft. Hierauf hat der EuGH ausgeführt, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber die vergleichende Werbung fördern und das Recht aus der Marke dementsprechend einschränken wolle. Daher müsse der Inhaber einer Marke die Benutzung eines ähnlichen oder identischen Zeichens im Rahmen vergleichender Werbung dulden, wenn die vergleichende Werbung gemäß der Irreführungsrichtlinie (Richtlinie 84/450/EWG) zulässig sei. In diesem Zusammenhang hat der EuGH betont, dass die Voraussetzungen der Irreführungsrichtlinie dann nicht erfüllt seien, wenn zwischen den Waren oder Dienstleistungen des Werbenden und des Mitbewerbers Verwechselungsgefahr bestehe.

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Hierbei liest sich der Tenor des EuGH zunächst etwas verwirrend, da er feststellt, dass bei Vorliegen der in Art. 5 Abs. 1 b) der Richtlinie 89/104 (Markenrichtlinie) genannten Voraussetzungen ausgeschlossen sei, dass die in Art. 3a Abs. 1 d) der Richtlinie 84/450 (Irreführungsrichtlinie) Voraussetzungen erfüllt werden. Dies ergebe sich daraus, dass sowohl in Art. 5 Abs. 1 b der Markenrichtlinie als auch in Art. 3a Abs. 1 der Irreführungsrichtlinie das Tatbestandsmerkmal der Verwechslungsgefahr vorkommt. Nach der Markenrichtlinie bestehen Unterlassungsansprüche nur, wenn eine Verwechslungsgefahr besteht, während nach der Irreführungsrichtlinie vergleichende Werbung nur zulässig ist, wenn keine Verwechslungsgefahr besteht.

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Diesen Wertungswiderspruch löst der EuGH dahingehend auf, dass dem Markenrechtsinhaber keine Unterlassungsansprüche zustehen sollen, wenn die vergleichende Werbung beim Publikum keine Verwechslungsgefahr hervorruft, und zwar unabhängig davon, ob letztlich alle in Art. 3a der Richtlinie 84/450 (Irreführungsrichtlinie) genannten Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sind.

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2. Bedeutung für Praxis

Das der Entscheidung zugrundeliegende Spannungsfeld zwischen Marken- und Lauterkeitsrecht bei der Benutzung von geschützten Zeichen innerhalb vergleichender Werbung ist in Deutschland bisher umstritten gewesen. Die wohl als herrschende Meinung anzusehenden Stimmen gingen bisher von einer Sperrwirkung des Lauterkeitsrechts für das Markenrecht aus, wenn es für den Referenzverbraucher ersichtlich war, dass die fremden Zeichen nicht das eigene Produktangebot des Werbenden bezeichnen[1]. Dogmatisch wurde dies zum einen damit begründet, dass es sich um kein "Benutzen" im kennzeichenrechtlichen Sinn handele[2] oder etwas pauschaler damit, dass die vorliegende Nutzung "kennzeichenrechtlich irrelevant" sei[3].

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Die Gegenauffassung[4] hält eine Erfüllung markenrechtlicher Tatbestände für möglich, möchte dann jedoch durch eine Anwendung von § 23 Nr. 2 MarkenG, wonach die Nennung der Marke zulässig wäre, Widersprüche zum europäischen Recht verhindern.

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Der BGH hat bisher lediglich entschieden, dass die namentliche Nennung des Wettbewerbers in vergleichender Werbung als solche wettbewerbsrechtlich zulässig sei, da sonst vergleichende Werbung unmöglich werde[5].

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Durch das vorliegende Urteil des EuGH dürfte dieser Streit nunmehr überkommen sein. Der EuGH hat die bisher wohl herrschende Ansicht im Ergebnis bestätigt. Im Rahmen der gebotenen[6] richtlinienkonformen Auslegung der §§ 6 UWG, 14 MarkenG ist insbesondere auch die Rechtsprechung des EuGH heranzuziehen, so dass in der Zukunft ein Vorrang des Lauterkeitsrechts vor dem Markenrecht besteht. Daher ist vergleichende Werbung, die markenrechtlich geschützte Zeichen enthält, allein anhand von lauterkeitsrechtlichen Erwägungen auf ihre Zulässigkeit hin zu untersuchen. Soweit die Werbung nach Lauterkeitsrecht zulässig ist, bleibt ein Rückgriff auf das Markenrecht verwehrt.

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3. Bindungswirkung der EuGH-Rechtsprechung

Das vorliegende Urteil gibt allerdings auch Anlass, sich die Problematik der Bindungswirkung der Rechtsprechung des EuGH für nationale Gerichte in Erinnerung zu rufen. Diese kann zwar nicht für alle Szenarien pauschal gelöst werden, sondern hat je nach Art des Urteils einen unterschiedlichen Rahmen. Das vorliegende Urteil des EuGH erging als Vorabentscheidung gemäß Art. 234 EGV. Da es sich um eine Auslegungsfrage des EG-Vertrages handelte, ist diese Rechtsprechung grundsätzlich nur "inter partes" bindend, hier jedoch auch für alle Instanzgerichte[7]. "Erga Omnes" kommt dem Urteil hingegen nur insoweit Bindungswirkung zu, als das letztinstanzliche Gericht gemäß Art. 234 Abs. 3 EGV zur Vorlage verpflichtet bleibt, wenn es von der Rechtsprechung des EuGH abweichen möchte. Für unterinstanzliche Gerichte wurde bisher keine Vorlagepflicht durch den EuGH statuiert. Nach der Auffassung des Verfassers sollte eine entsprechende Vorlagepflicht auch für unterinstanzliche Gerichte gelten. Andernfalls würde der Effet-Utile-Grundsatz verkürzt. Es ist nämlich in der Praxis häufig der Fall, dass ein unterinstanzliches Urteil den Rechtsstreit im Ergebnis beendet, da etwa eine Partei die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens scheut und der Rechtsstreit daher niemals zum letztinstanzlichen Gericht gelangt. In diesem Fall könnte das Gemeinschaftsrecht keine Wirkung entfalten. Daher entfaltet das Urteil des EuGH für nationale Gerichte nach der zur Zeit vorherrschenden Meinung keine Bindungswirkung für unterinstanzliche Gerichte. Bindungswirkung tritt vielmehr erst beim letztinstanzlichen Gericht ein. Gleichwohl ist es den unterinstanzlichen Gerichten natürlich nicht verwehrt und auch zu empfehlen, der Auffassung des EuGH zu folgen.

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4. Fazit

Damit bleibt festzuhalten, dass aufgrund der vorliegenden Entscheidung nunmehr von einem Vorrang des Lauterkeitsrecht mit Sperrwirkung für markenrechtliche Ansprüche auszugehen ist. Allerdings ist diese Auslegung erst für das letztinstanzliche Gericht bindend.


* Die Entscheidung ist veröffentlicht in MIR 2008, Dok. 182. Der Autor ist Rechtsreferendar bei dem Oberlandesgericht Köln und absolviert derzeit seine Anwaltsstage bei der internationalen Sozietät Freshfields Bruckhaus Deringer LLP in Köln.
[1] OLG Hamburg GRUR 2000, 243, 247 – Lottoschein; OLG Frankfurt am GRUR 2000, 84 – DAX; Ingerl/Rohnke, 2. Aufl., § 14 Rn. 153; Eck/Ikas, WRP 1999, 270 ff.
[2] BT-Drucks 12/6581, S. 53; OLG Hamburg GRUR 2000, 243, 247 – Lottoschein; OLG Frankfurt GRUR 2004, 1043, 1044 – Cartier Stil.
[3] Ingerl/Rohnke, § 14 Rn. 153.
[4] Kur MarkenR 2001, 137, 142; Nägele MarkenR 1999, 177 ff.
[5] BGH GRUR 2002, 828, 830 – Lottoschein; GRUR 1999, 501, 503 – Vergleichen Sie.
[6] Hefermehl/Köhler/Bornkamm, § 6 Rn. 6.
[7] EuGH Slg. 1969, 165, Rn. 3.

Online seit: 21.07.2008
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1690
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