Rechtsprechung
LG München I, Urteil vom 16.01.2008 - 1HK O 8475/07
Retourkutsche II - Zur Frage, wann wettbewerbsrechtliche Abmahnungen als rechtsmissbräuchlich i.S.v. § 8 Abs. 4 UWG anzusehen sind.
UWG §§ 3, 5, 8 Abs. 4; EnVKV §§ 3, 5; Richtlinie 95/12/EG - Anlage III
Leitsätze:*1. Das Rechtsinstitut des Rechtsmissbrauchs, in seiner speziellen Ausgestaltung nach § 8 Abs. 4 UWG, darf nicht
dazu führen, dass derjenige, dem unlauteres Verhalten vorgeworfen wird, gleichartiges Verhalten seines Konkurrenten
hinnehmen muss. Der Gesetzgeber hat jedoch mit der Aufnahme des Regelbeispiels, "wenn sie vorwiegend dazu dient, gegen den
Zuwiderhandelnden einen Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen oder Kosten der Rechtverfolgung entstehen zu lassen" entschieden,
dass die Geltendmachung von Ansprüchen dann zurückstehen muss, wenn sie nur als Mittel zum Zweck eingesetzt wird. Dies ist
dann der Fall, wenn nicht die Erzwingung lauteren Verhaltens, sondern die Generierung eines Kostenerstattungsanspruchs
im Vordergrund steht, der dann als Verteidigungsmittel gegen die eigene Inanspruchnahme dienen soll. Insoweit ist
zur Abgrenzung der legitimen Verfolgung wettbewerblicher Interessen und unbilliger Erzielung eines Kostenerstattungsanspruchs als
Kampfmittel auf das bisherige Wettbewerbsverhältnis zwischen den Parteien und die Art der konkret gerügten Verstöße abzustellen.
a. Stehen die Parteien in einem direkten Wettbewerbsverhältnis, indem sie das gegenseitige Verhalten regelmäßig
beobachten und neue Wettbewerbsverletzungen zeitnah gegenseitig rügen, stellt dies ein Indiz dafür dar, dass eine
Abmahnung, auch wenn ihr eine Abmahnung des Konkurrenten vorausgegangen war, vorrangig im Interesse der Durchsetzung
eines fairen Wettbewerbs ausgesprochen wurde.
b. Sofern dies nicht der Fall ist, kann ein Indiz für die vorrangige Verfolgung legitimer wettbewerblicher Interessen daraus
gezogen werden, dass die Gegenabmahnung ein gleichartiges und gleichwertiges Verhalten wie die Abmahnung zum Gegenstand hat.
Der Einwand der "unclean hands" greift zwar nicht selbst gegen die Abmahnung durch; dafür liegt es bei einer
Gegenabmahnung betreffend gleichartiger Verstöße nahe, dass es dabei auch vornehmlich um deren Beseitigung und nicht allein
um die Erlangung des "Kampfmittels Kostenerstattungsanspruch" geht.
c. Liegen diese Indizien (a. und c.) nicht vor, spricht - jedenfalls für den Fall, dass die Gegenabmahnung nicht besonders grobe
andersartige Verstöße betrifft - dies dafür, dass die gerügten Verstöße lediglich als Vehikel zur Generierung eines
Kostenerstattungsanspruchs benutzt wurden, der als Kampfmittel gegen die eigene Inanspruchnahme in Stellung gebracht werden kann.
In diesem Fall greift die gesetzgeberische Grundentscheidung durch, die ihren Ausdruck im Regelbeispiel des § 8 Abs. 4 UWG
gefunden hat.
2. Steht das Gebührenerzielungs-/Kostenbelastungsinteresse des Abmahnenden klar im Vordergrund und bildet die Herstellung
lauterer Wettbewerbsverhältnisse allenfalls ein Nebenmotiv, räumen derartige (stets begründbare) Nebenmotive den
Missbrauchseinwand nicht aus. Dies stellt die Formulierung "wenn sie vorwiegend dazu dient" in § 8 Abs. 4 UWG klar.
3. Zur Abgrenzung, ob bei Abmahnungen gebührenrechtlich vom Vorliegen einer oder zweier Angelegenheiten auszugehen ist,
kommt es nicht allein auf den Umstand an, dass der Auftrag zur Verfolgung dem Rechtsanwalt am selben Tag erteilt wurde
und die Abmahnschreiben weitgehend wortgleich sind. Denn neben dem einheitlichen Auftrag ist für das Vorliegen "einer
Angelegenheit" auch ein einheitlicher Lebensvorgang zu fordern. Hierfür genügt die zeitgleich getroffene Entscheidung,
gegen verschiedene Wettbewerber vorzugehen, die jeweils ähnliche Verstöße begangen haben, nicht, wenn zwischen den
einzelnen Verstößen kein weitergehender Konnex besteht.
4. Der fehlende Nachweis der Zahlung, bei der Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs für eine Abmahnung, führt
dann nicht dazu, dass der Abmahnende auf einen Freistellungsanspruch zu verweisen ist, wenn der Kostenschuldner (Abgemahnte) die
Leistung endgültig verweigert hat. Dann kann ein direkter Zahlungsanspruch angenommen werden (
vgl. BGH NJW 2004, 1868, 1869; jüngste bestätigend: OLG Köln, Urteil vom 12.10.2007 - Az. 6 U 76/07 =
MIR 2008, Dok. 94).
5. Die Werbung mit einer nicht existierenden Energieeffizienzklasse (hier: "A Plus" für Waschmaschinen) ist
irreführend und damit unlauter i.S.v. §§ 5, 3 UWG, da sie beim Verkehr die falsche Vorstellung weckt, das
die angebotenen Geräte vergleichbaren Geräten der Wettbewerber, die sich an die gesetzlich vorgeschriebenen
Angaben (hier: gem. §§ 3, 5 EnVKV i.V.m. Richtlinie 95/12/EG Anhang III die definierten Energieeffizienzklassen von A bis G)
halten, hinsichtlich Wirtschaftlichkeit (Stromkosten) und Umweltverträglichkeit (Ressourcenverschwendung, CO2-Belastung)
vorzuziehen sind.
Die Entscheidung wurde mitgeteilt von Vorsitzender Richter am Landgericht Dr. Peter Guntz, München. Die Berufung ist anhängig beim OLG München (Az. 6 U 2138/08)
Bearbeiter: RA Thomas Gramespacher
Online seit: 24.03.2008
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1562
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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