Rechtsprechung
OLG Frankfurt a.M. , Urteil vom 30.01.2008 - 23 U 38/05
Sicherheit des PIN-Verschlüsselungssystems bei Geldausgabeautomaten - Wird zeitnah nach dem Diebstahl einer EC-Karte und Verwendung dieser Karte und Eingabe der PIN an Geldausgabeautomaten Bargeld abgehoben, spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Karteninhabers.
ZPO § 286
Leitsätze:*1. Dem Inhaber einer EC-Karte obliegt die nebenvertragliche Pflicht (aus dem Kartenvertrag),
die Karten mit besonderer Sorgfalt aufzubewahren und dafür Sorge zu tragen, dass kein unbefugter
Dritter Kenntnis von der PIN (Personenidentitätsnummer) erhält.
2. Wird zeitnah nach dem Diebstahl einer EC-Karte und Verwendung dieser Karte und Eingabe der PIN an
Geldausgabeautomaten Bargeld abgehoben, spricht in der Regel der Beweis des ersten Anscheins dafür,
dass der Karteninhaber gegen seine Sorgfaltspflicht verstoßen hat (z.B. in der Form, dass er die Karte
zusammen mit einem Schriftstück aufbewahrt, aus dem sich die PIN ergibt - Grundlegend: BGH, Urteil vom 05.10.2004 -
Az. ZR 210/03).
3. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt nur dann in Betracht, wenn der Karteninhaber dem Anscheinsbeweis durch
konkrete Darlegung und gegebenenfalls den Nachweis der Möglichkeit eines atypischen Verlaufs die Grundlage entzieht.
Es kommt nicht bereits darauf an, ob es die theoretische Möglichkeit der Kenntniserlangung der PIN durch Dritte
gibt (etwa auch durch technische Manipulation). Vielmehr hat das Gericht die Möglichkeit sich
sachverständig beraten zu lassen.
4. Jedenfalls für Fälle im Zeitraum von Dezember 1999 bis Februar 2003 ist davon auszugehen, dass ein
- hier von der Beklagten Bank in diesem Zeitraum verwendete - Verschlüsselungssystem mit Triple-DES-Schlüssel, bestehend
aus 128 Bit, bei Geldautomaten den Sicherheitserfordernissen entsprach. Es ist praktisch ausgeschlossen, dass Kriminelle
den kryptograhischen Schlüssel geknackt haben.
5. Bei einer Beweiswürdigung geht es um einen für das praktische
Leben brauchbaren Grad von Gewissheit. Eine absolute Gewissheit ist nicht erforderlich und oftmals auch nicht zu erreichen.
Es reicht aus, wenn ein Gericht einen so hohen Grad von Wahrscheinlichkeit
feststellt, dass es Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.
Bearbeiter: Ass. iur. Thomas Gramespacher
Online seit: 12.02.2008
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1515
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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