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BGH, Urteil vom 03.07.2007 - VI ZR 164/06
Urlaub als Ergeignis der Zeitgeschichte? - Zum abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KunstUrhG bei Bildveröffentlichungen von Prominenten (Olli Kahn).
GG Art. 5 Abs. 1; 2 Abs. 1; EMRK Art. 8, 10; KunstUrhG §§ 22, 23 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2
Leitsätze:*1. Zum abgestuften Schutzkonzept der §§ 22, 23 KunstUrhG bei Bildveröffentlichungen
von Prominenten.
2. Nach § 22 Satz 1 KUG dürfen Bildnisse einer Person grundsätzlich nur mit deren Einwilligung verbreitet werden;
hiervon besteht nach § 23 Abs. 1 KUG eine Ausnahme, wenn es sich um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt
(vgl. BGHZ 158, 218, 222 f.; BGH Urteil vom 19.10.2004 - Az. VI ZR 292/03, BGH Urteil vom 6.03.2007 - Az. VI ZR 51/06,
BGH, Urteil vom 26.10.2006 - Az. I ZR 182/04; BGHZ 169, 340, 345). Diese Ausnahme gilt aber nicht für eine Verbreitung,
durch die berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG). Auch bei Personen, die unter dem
Blickwinkel des zeitgeschichtlichen Ereignisses im Sinn des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG an sich ohne ihre Einwilligung die
Verbreitung ihres Bildnisses dulden müssten, ist eine Verbreitung der Abbildung unabhängig davon, ob sie sich an Orten
der Abgeschiedenheit aufgehalten haben, nicht zulässig, wenn hierdurch berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden,
§ 23 Abs. 2 KUG (vgl. zu diesem abgestuften Schutzkonzept BGH, Urteile vom 6. März 2007 - Az. VI ZR 13/06 und Az. VI ZR 51/06).
3. Maßgebend für die Frage, ob es sich um ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt, ist der Begriff des
Zeitgeschehens. Dieser Begriff darf nicht zu eng verstanden werden. Im Hinblick auf den Informationsbedarf
der Öffentlichkeit umfasst er nicht nur Vorgänge von historisch-politischer Bedeutung, sondern ganz allgemein
das Zeitgeschehen, also alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse. Er wird mithin vom Interesse
der Öffentlichkeit bestimmt. Auch durch unterhaltende Beiträge kann Meinungsbildung stattfinden; solche Beiträge können die
Meinungsbildung unter Umständen sogar nachhaltiger anregen und beeinflussen als sachbezogene Informationen
(vgl. BGH, Urteile vom 9.12.2003 - Az. VI ZR 373/02 und vom 6.03.2007 - Az. VI ZR 51/06; BVerfGE 101, 361, 389 f.;
BVerfG, NJW 2006, 2836, 2837). Auch besteht das Informationsinteresse nicht schrankenlos. Vielmehr wird der Einbruch
in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt, so dass eine Berichterstattung
keineswegs immer zulässig ist. Wo konkret die Grenze für das berechtigte Informationsinteresse der Öffentlichkeit
an der aktuellen Berichterstattung zu ziehen ist, lässt sich nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände
des Einzelfalles entscheiden.
4. Zum Kern der Presse- und der Meinungsbildungsfreiheit gehört, dass die Presse in den gesetzlichen Grenzen einen
ausreichenden Spielraum besitzt, innerhalb dessen sie nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden kann, was sie
des öffentlichen Interesses für wert hält, und dass sich im Meinungsbildungsprozess herausstellt, was eine Angelegenheit
von öffentlichem Interesse ist (BVerfGE 101, 361, 392; BGH, Urteil vom 15.11.2005 - Az. VI ZR 286/04; BGH Urteil vom 6.03.2007 -
Az. VI ZR 51/06; EGMR NJW 2006, 591, 592 f.).
Auch wenn die Presse zur Wahrung der Pressefreiheit und zur Vermeidung einer vom Grundgesetz untersagten Zensur
insoweit selbst nach publizistischen Kriterien entscheiden darf, worüber sie berichten will, kann sie sich damit allerdings
nicht der Abwägung mit der geschützten Privatsphäre derjenigen entziehen, über die sie berichten will.
5. Es muss eine Interessenabwägung stattfinden und zwar zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit einerseits
und dem Interesse des Abgebildeten an dem Schutz seiner Privatsphäre andererseits. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass
auch bei den bisher sog. Personen der Zeitgeschichte nicht außer Betracht bleiben kann, ob die Berichterstattung zu
einer Debatte mit einem Sachgehalt beiträgt, der über die Befriedigung bloßer Neugier hinausgeht.
Zwar kommt es für die Abwägung maßgeblich auf den Informationswert der Abbildung an; allerdings ist die beanstandete
Abbildung stets im Zusammenhang mit einer Wortberichterstattung zu sehen, mit der sie verbreitet worden ist (vgl.
so auch EGMR, NJW 2004, 2647, 2650 und gefestigte BGH Rechtsprechung: BGHZ 158, 218, 223, BGH Urteile vom 30.09.2003 - Az.
VI ZR 89/02; vom 28.09.2004 - Az. VI ZR 305/03; vom 19.10.2004 - Az. VI ZR 292/03 und vom 6.03.2007 - Az. VI ZR 13/06 und Az.
VI ZR 51/06).
6. Zwar darf die Presse auch bei einer (Bild-) Berichterstattung über die Anwesenheit sog. Prominenter zur Urlaubszeit an einem
bestimmten Ort (hier: St. Tropez) grundsätzlich selbst bestimmen, was sie für berichtenswert hält. Allerdings spielt hierbei
eine entscheidene Rolle, ob die Presse eine neue und wahre Information von allgemeinem Interesse für die
öffentliche Meinungsbildung mitteilt oder ob der Informationswert für die Öffentlichkeit wesentlich in der
Unterhaltung ohne gesellschaftliche Relevanz besteht. Denn dann besteht kein berücksichtigungswertes Informationsinteresse
der Öffentlichkeit, dass eine Bildveröffentlichung entgegen dem Willen des Abgebildeten erlaubte (§ 23 Abs. 1 KUG).
7. Bei Fotoaufnahmen, die eine prominente Person im Urlaub, der grundsätzlich auch bei "Prominenten" zum regelmäßig geschützen
Kernbereich der Privatsphäre gehört, zeigen, handelt es sich nicht um ein Bildnis aus dem Bereich
der Zeitgeschichte, die der Betroffenen nicht hinnehmen muss (§ 22 KUG).
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 01.09.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1350
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
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