Rechtsprechung
KG Berlin, Urteil vom 27.07.2007 - 9 U 12/07
"Redaktionsschwanz" - Zur Zulässigkeit einer redaktionellen Anmerkung zu einer Gegendarstellung gemäß § 9 RBB-Staatsvertrag.
Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Rundfunkanstalt der Länder Berlin und Brandenburg (RBB-Staatsvertrag) § 9; BGB § 371, ZPO §§ 707, 767, 769, 924 Abs. 3 Satz 2, 927
Leitsätze:*1. § 9 Abs. 4 des RBB-Staatsvertrages vom 7.11.2002 enthält kein Glossierungsverbot.
Aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ergibt sich allerdings eine Schutzpflicht des Staates, dem Betroffenen
einer Medienberichterstattung das Recht zu einer Gegendarstellung mit gleicher publizistischer Wirkung einzuräumen
(vgl. BVerfG 63, 131 = NJW 1983, 1179; BVerfG NJW 1998, 1381). Andererseits bedarf der mit der Verpflichtung
zur Veröffentlichung einer Gegendarstellung verbundene Eingriff in die Pressefreiheit der gesetzlichen Grundlage
(vgl. BVerfG AfP 1993, 474). Ein Redaktionsschwanz (redaktionelle Anmerkung im direkten Verbund mit der Gegendarstellung)
ist daher, soweit es an einer spezialgesetzlichen Beschränkung fehlt, nur ausnahmsweise unzulässig, wenn er
sich als Schikane, sittenwidrige Schädigung oder Verstoß gegen Treu und Glauben darstellt
(vgl. OLG München NJW-RR 1999, 965 - zur vergleichbaren Regelung des Bayerischen Landespressegesetzes) bzw. wenn er
den Zweck der Gegendarstellung vereitelt, dem Betroffenen Gehör zu geben und die Öffentlichkeit zu informieren.
2. Zur Feststellung, ob eine rechtsmissbräuchliche Entwertung der Gegendarstellung vorliegt, ist eine Abwägung des
Persönlichkeitsrechts des Betroffenen mit der Rundfunk- und Meinungsfreiheit des betreffenden Pressorgans geboten
(vgl. VerfGH Berlin, Beschluss vom 25.4.2006 - NJW-RR 2006, 1479).
3. Liegt eine gesetzliche Glossierungsbeschränkung nicht vor (hier: in § 9 RBB-Staatsvertrag), ist eine Wertung in einer redaktionellen
Anmerkung grundsätzlich zulässig. Insbesondere kann trotz eines wertenden Einschlages nach
der gebotenen Würdigung im Gesamtzusammenhang der tatsächliche Charakter überwiegen und die Formulierungen könne sich als
substanzhaltige Tatsachenbehauptungen darstellen, über die eine
Beweisaufnahme möglich ist. Die Ausgangsmitteilung darf grundsätzlich in einer Anmerkung zur Gegendarstellung
wiederholt oder vertieft werden (vgl. OLG Dresden AfP 2001, 523).
4. Der Einwand der Erfüllung kann gegenüber einer auf Leistung gerichteten einstweiligen Verfügung (hier: Gegendarstellung) – anders
als bei einer Unterlassungsverfügung – gemäß § 767 ZPO geltend gemacht werden, d. h. der Schuldner
ist nicht auf ein Aufhebungsverfahren beschränkt. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Vollstreckungsgegenklage
ist nicht im Hinblick auf § 927 ZPO zu verneinen, gerade weil § 769 ZPO von Gesetzes wegen die Möglichkeit
einer einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung vorsieht, während im Aufhebungsverfahren nur
eine entsprechende Anwendung von §§ 924 Abs. 3 Satz 2, 707 ZPO in Betracht kommt.
5. Ist der titulierte Anspruch (hier: auf Gegendarstellung) erfüllt, kann der Anspruchsschuldner entsprechend § 371 BGB
im Klagewege Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigung der einstweiligen Verfügung verlangen
Bearbeiter: Rechtsanwalt Thomas Ch. Gramespacher
Online seit: 11.08.2007
Kurz-Link zum Artikel: http://miur.de/1322
*Redaktionell. Amtliche Leit- und Orientierungssätze werden in einer "Anm. der Redaktion" benannt.
// Artikel gesammelt "frei Haus"? Hier den MIR-Newsletter abonnieren
Oberlandesgericht Frankfurt a.M., MIR 2023, Dok. 007
ÖKO-TEST III - Zur unlauteren Ausnutzung der Wertschätzung einer Marke (hier Testlogo von ÖKO-TEST) und zum Schadenersatz bei einer solchen Markenverletzung
BGH, Urteil vom 16.12.2021 - I ZR 201/20, MIR 2022, Dok. 007
Nichtzulassungsbeschwerde und Zeugenbeweis - Im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist das Angebot auf Vernehmung eines Zeugen zur Glaubhaftmachung nicht geeignet
BGH, Beschluss vom 24.11.2022 - I ZR 25/22, MIR 2023, Dok. 017
Gesetzlichkeitsfiktion nur bei unveränderter Übernahme - Die Schutzwirkung der Gesetzlichkeitsfiktion gemäß Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 2 EGBGB kommt dem Unternehmer nur bei unveränderter Übernahme der Muster-Widerrufsbelehrung zugute
BGH, Urteil vom 01.12.2022 - I ZR 28/22, MIR 2022, Dok. 023
Keyword-Advertising - Verwendung und Angebot eines Unternehmenskennzeichens durch eine Internet-Suchmaschine als Keyword für (Werbe-) Anzeigen Dritter
OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 10.11.2022 - 6 U 301/21, MIR 2022, Dok. 097